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Kultur: Mehr Brecht als schlecht

„Dead or Alive“- Slam Poetry in der Reithalle

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Bereits eine halbe Stunde vor Beginn hatte sich am Mittwoch Abend eine meterlange Schlange vor der Reithalle gebildet – und viele mussten schweren Herzens wieder gehen, da die Kapazitäten einfach erschöpft waren. „Dead or Alive“: Vier Berliner Slammer traten in den ungleichen Wettkampf gegen vier Schauspieler des Hans Otto Theaters, vier blutjunge Texter gegen vier alte Meister – nur ein Team durfte am Ende die Dichterflasche Absinth als Hauptpreis mit nach Hause nehmen.

Im Publikum wurden fünf Teams rekrutiert, die als Punktrichter agierten, von eins bis zehn Punkten war alles möglich. Eigentlich schon eine verlorene Schlacht für die alten Meister, hatte sich doch das klassische Slam-Poetry-Publikum versammelt: Slam ist nicht totzukriegen, eine zielgruppenorientierte, subjektive literarische Performance, quasi das selbst erfundene Spiegelbild einer Generation, die eine literarische Identifikation benötigt. Sicherlich hatte die deutsche Sprache an diesem Abend einen strategischen Vorteil gegenüber der Übersetzungen der alten Meister, aber das HOT-Ensemble um Patrizia Carlucci, Florian Schmidtke, Elzemarieke de Vos und Wolfgang Vogler hatte nichts weniger vor, als den Berliner Slammern Frank Klötgen, Ken Yamamoto, Tilman Birr und Sarah Bosetti mit reichlich Performance in den Hintern zu treten – schließlich war Wettkampf: und zwar Text gegen Show.

So war es mehr als ansehnlich, was da an Slam geboten wurde, ob Klötgens Reminiszenz an Schillers Glocke, die mit Brechstange und reichlich Clearasil in „Die Pocke“ umgedichtet wurde, Yamamotos tiefsinnige Lyrik oder die rasante Dialoginszenierung Birrs, ein politisches Statement als „Meinungsgrillwalker“. Lediglich Bosetti kaute den Slamkaugummi zu lange aus: Die typische, tausendmal gehörte Slam-Intonation, eine akustische Benedikt-II-Predigt im Zeitraffer, kollidierte mit den hastig heraussprudelnden Texten – beim Slam-Publikum fuhr sie dennoch die Höchstpunktzahl ein.

Und was brachten die toten Dichter? Carlucci fuhr die Klassikerschiene, mit Shakespeares Julia-Monolog kann man nicht viel falsch machen. Schmidtke als dandyhafte Brecht-Interpretation mit Ukulele sorgte schon für einige Brüller, de Vos Monolog einer „Gabi“ schien jedoch aus der Rolle zu fallen: Damit zeigte sie exzellente Comedy-Profilierung, die rezitierten Liebesbriefe aus L.A. wollten aber nicht so recht die Verbindung zu toten Dichtern erkennen lassen. Das richtete Wolfgang Vogler aber ganz schnell wieder: Seine exzentrische Molière-Adaption, bei der er zu „Rage against the machine“ über die Bühne sprang und eine Wassermelone opferte, ließ einige blass aussehen.

Am Ende leichter Vorsprung für die Lebenden, Gleichstand zwischen Molière und Brecht – es kam zum Stechen, wobei der Applaus des Publikums entscheiden sollte. Die Slammer einigten sich auf Bosetti, die hinter ihrem Buch versteckt routiniert ihren Text vortrug, ein Haustürdialog, in welchem sich der Gasmann als Zeuge Jehovas entpuppte. Doch hinter den Kulissen holte das HOT-Quartett schon zum finalen Zerstörungsschlag aus – und was machte es? Brachte tatsächlich als Best-of das „Moritat von Mackie Messer“ als ahistorischen Rundumschlag. Jetzt war es so weit: Der Saal tobte. Es leben die Toten! Oilver Dietrich

Oliver Dietrich

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