zum Hauptinhalt

Kultur: Mehr Eindrücke als Ausdruck

„The Sixteen“ und „The Symphony of Harmony & Invention“ spielten zur Eröffnung Händels Messias

Stand:

Dass der Humor eben doch eine englische Spezialität ist, bewies der britische Gesandte Hugh Mortimer bei der Eröffnung der 17. Musikfestspiele Potsdam Sanssouci in der Friedenskirche. Nach den üblichen Dankesworten der Kulturbeigeordneten Gabriele Fischer und der Kulturministerin Johanna Wanka an das Festspielteam, verstand er es mit seiner prägnanten Rede, das Publikum festlich einzustimmen und zu erheitern. Georg Friedrich Händel sei der am „meisten britische“ und der „liebste“ Komponist im Vereinigten Königreich. Im Verlauf der 47 Jahre, die der Meister aus Halle in London gelebt hat, seien ihm nicht nur seine Pünktchen über dem „a“ abhanden gekommen, sondern auch eine eindeutige nationale Zuordnung. So habe einst ein Schüler geschrieben, Mr. Handel sei halb Deutscher, halb Italiener und halb Engländer. Fürwahr ein Europäer, lange bevor von Europa gesprochen wurde!

Universell-europäischen Geist verströmt ganz besonders der „Messias“ mit seiner schönen Melange aus italienischem Belcanto, französischer Operndramatik, englischen Chorsätzen und deutscher Kontrapunktik. Zudem verkündet dieses Oratorium ein Christentum, das weder an eine Konfession gebunden ist noch an einen bestimmten Kirchenfeiertag. Obwohl nicht unbedingt zur Sommerzeit passend, so wurde die Wahl des populären Werks für das Eröffnungskonzert durch die Entscheidung mitgetragen, das Konzert zum Auftakt des „Euroradio Summerfestivals“ der Union der europäischen Rundfunkanstalten am 21. Juni europaweit auszustrahlen.

Mit „The Sixteen“ und „The Symphony of Harmony & Invention“ kamen zwei gediegene, international erfolgreiche Ensembles, die unter ihrem Leiter Harry Christophers fast dreißig Jahre bestehen. Da konnte eigentlich nichts schief gehen.

Und doch überrascht die Vehemenz der Darbietung, die zeigte, wie sich die klassische Musik der populären Musikkultur annähert. Rasante Tempi, pochende Rhythmen, glamouröse Gesangssoli, dynamische Kontraste erzeugten schnittige, opulente Klangbilder. Videoclips in schnellen Schnitten mit tanzenden Jugendlichen hätten gut dazu gepasst. Vordergründige Effekte, hohe Geschwindigkeit und technische Perfektion bestimmen den Klang, den man eher „Sound“ nennen möchte. Das Kammerorchester mit dem langen Namen „The Symphony of Harmony & Invention“ spielt spritzig, modelliert präzise und plastisch einzelne Klangfiguren, die Streicher wehen stetig und stürmisch, das Cembalo rieselt filigran. Ein musikalischer Fluss mit glasklaren Stromschnellen und munteren Sprudeln zieht vorüber. Besonders nach der Pause, im zweiten Teil, strotzen Dynamik und Dramatik in großen Gesten. Doch der Fülle der starken Eindrücke mangelt es an Ausdruck. Mit hoch kultivierter, tadelloser Perfektion und Intonation verschießt der Chor „The Sixteen“ musikalische Pfeile, treffsicher und metallisch gleißend. Die sechs Soprane und dreimal vier Herren in Alt, Tenor und Bass gehen mit dem Notenmaterial so sicher um, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes getan hätten. Sehr charaktervoll die Gesangssolisten, allen voran der Counterntenor Daniel Tyler mit ätherischem Stimmtimbre und ornamentalen Phrasierungen. Tenor Mark Dobell sorgt mit seiner schlanken, biegsamen Stimme für helle, leichte Töne und verzichtet auf die große Emphase. Dagegen leuchtet der Bass mit volumenreicher, sehr gut geführter Stimme. Selbst bei der bravourös interpretierten Arie „Why do the nations so furiously rage together“ gelingen ihm noch feinste Verzierungen. Doch gerade diese Arie litt sehr unter der gnadenlos peitschenden Hochtourigkeit des Dirigenten. Fast zu glamourös glitzerte der Sopran von Helen Williams, deren tremoloreiche, vibrierende Stimme etwas überagierte. Alles in allem aber ein großartiges Konzert beziehungsweise ein „Grand Musical Entertainment“, das stehende Ovationen erhielt. Schon beim „Hallelujah“- Chor hatten die Zuhörer stehend gezeigt, wie britisch man während der diesjährigen Musikfestspiele in Potsdam fühlt. Auf weitere Reverenzen an das Vereinigte Königreich kann man gespannt sein. Womöglich ist sogar etwas Humorvolles dabei.

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })