Kultur: Mehr Harmonie wäre besser
Kammerakademie bot im Schlosstheater „ Musik und Natur“
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Kammerakademie bot im Schlosstheater „ Musik und Natur“ Von Sonja Lenz Vorsicht, glitschige Schiffsplanken! Da geraten die Matrosen der Kammerakademie ganz schön ins Rutschen. Ein heftiger Seesturm tobt in Antonio Vivaldis Violinkonzert „La Tempesta di mare“. Die Musiker brausen wendig und elegant hinein. Lebhaft kreuzen sie gegen den Wind – bis zum Einsatz der Solovioline. Florian Donderer bringt das Schiff zum Schlingern. Der Steuermann bremst seine eigene Mannschaft aus. Er hält den Kurs mit Müh und Not, doch schon nach wenigen Minuten verlieren Geige und Cello das Gleichgewicht. Seltsam, wie wenig der optische Eindruck zum akustischen passt. Donderer geht temperamentvoll in die Knie, schwingt den Bogen mit brillanten, hochgespannten Gesten. Was man hört, wirkt daneben erstaunlich behäbig und holperig. Das Saitenschiff kämpft sich mit unmotivierten Temposchwankungen durch die Wellen. Vivaldis Notensturm ist es nicht gewachsen. Der Berliner Geiger ist Konzertmeister der Kammerakademie. Mit gleich drei virtuosen Solostücken hat sich Florian Donderer etwas zuviel zugemutet. Ein bisschen mehr Probenzeit hätten ihm und auch dem Orchester gut getan. Schließlich hat sich das Ensemble ein besonders reizvolles Programm vorgenommen, das zahlreiche Neugierige ins ausverkaufte Schlosstheater lockte. „Musik und Natur“ lautet das Motto des Barocknachmittags. Kein Wunder, dass Vivaldi im Mittelpunkt steht. Der Italiener hatte ein besonderes Faible für farbenprächtige Tonmalereien. Neben den berühmten „Vier Jahreszeiten“ hat er zahlreiche andere, viel weniger bekannte Naturschilderungen hinterlassen. „La Pastorella“ zum Beispiel, für die sich sechs Musiker der Kammerakademie ins Zeug legen. Schade, dass sie recht unterschiedliche Vorstellungen vom Landleben haben. Das Fagott findet es spritzig und aufregend, die Geige eher beschaulich. Wie sieht sie nun aus, die Hirtin, die Vivaldi in seinem Stück zum Leben erwecken will? Ist es eine schlanke, zierliche Schäferin oder doch eher eine dralle Bauernmaid? Ganz einig werden sich die Musiker darüber nicht. Lustig übrigens, wie sie auf der Bühne auf und ab hüpfen. Die Show ist gut, mehr klingende Harmonie wäre besser. Die meisten Konzerte hat der Geigenvirtuose Vivaldi für ein bis vier Soloviolinen geschrieben. Aber auch ungewöhnlichere Klangfarben haben den italienischen Komponisten gereizt. Das schmale Konzertrepertoire des Fagotts hat er um mehrere Werke bereichert. Sergio Azzolini machte das Fagottkonzert in g-Moll zu einem Höhepunkt des Konzertnachmittags. Seit Jahren beschäftigt sich der Künstlerische Leiter der Kammerakademie intensiv mit Alter Musik. Man spürt, wie sehr ihm das Konzert seines italienischen Landsmanns am Herzen liegt. Endlich ist alles, wie es sein soll: Solist und Orchester spornen sich gegenseitig an, spielen sich die flinken Bälle zu. Hoch ist das Energieniveau. Leidenschaftlich kämpft Sergio Azzolini gegen die Meinung an, das Fagott sei ein schwerfälliges Großvaterinstrument. Im Largo haucht er ihm empfindsam eine lyrische Seele ein. Die atemberaubend virtuosen Ecksätze meistert er mit traumtänzerischer Leichtigkeit. Stilsischer und humorvoll präsentiert er seine springlebendige Fingerakrobatik. Da ist ein gewitzter Irrwisch am Werk, ein Roberto Begnini des Fagotts. Danach zeigt auch Florian Donderer, dass seine Geige Funken sprühen kann. Gemeinsam mit dem Kammerorchester lässt er sich vom Jagdfieber in Vivaldis Concerto „La Caccia“ anstecken. Elegant überspringen die Musiker die technischen Hürden der Komposition. Die Solovioline übernimmt die Rolle des Jagdhorns. Die rasanten Passagen und Doppelgriffe der Allegro-Sätze gelingen Donderer ebenso wie das betörend samtige Adagio. Wenn nur das Handy draußen vor der Tür nicht so hartnäckig klingeln würde. Zum Schluss noch eine Überraschung: die „Grillen-Symphonie“ von Georg Philipp Telemann. Ein ausgefallenes, lustig funkelndes Schmuckstück, in dem zwei solistisch brummelnde Kontrabässe mit drei trillersüchtigen Bläsern um die Wette singen. Wer hält den Magdeburger Meister da noch für einen einfallslosen Vielschreiber?
Sonja Lenz
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