Kultur: Mehr Mousse, bitte
Harmonische Kurzzeitvermählung: Mousse T. mit dem Filmorchester im Nikolaisaal
Stand:
Nein, hochverehrter Mustafa Gündogdu, besser bekannt als Mousse T., das Publikum, das Sie und den ganzen Crossover-Abend im Nikolaisaal stehend umjubelte, das können Sie nicht mieten. Da müssen Sie, wie Sie es auch versprachen, noch einmal kommen.
Die Crossoverkonzerte, die regelmäßig ein junges Popzugpferd vor das achtzigköpfige Filmorchester Babelsberg spannen, versprechen immer eine interessante Begegnung. Selten jedoch funktionierte die Kurzzeitvermählung so harmonisch wie bei Mousse T.. Gleichberechtigung von Filmorchester und der eigenen, hervorragenden Band, so das Zauberwort aus dem Mund des weltbekannten DJs, Remixers, Komponisten und Musik-Produzenten.
Mousse T. trägt seinen Künstlernamen noch aus der Zeit, in der er sich als gefragter DJ die Nächte in Clubs um die Ohren schlug. Jetzt, da er für Stars wie Michael Jackson, Simply Red oder Gloria Estefan gearbeitet, Hits geschrieben und erfolgreiche Platten produziert hat, steht er weder als wacklige Schokoladencreme noch als Maus auf der Bühne. Der Name ist ein wenig zu klein geworden, wie die Jacke seines schwarzen Maßanzuges, in dem er die Stücke und die Interpreten von seinem Platz am Konzertflügel ansagt. „Unglaublich“ und „fantastisch“ sind seine Lieblingsvokabeln. Alle diese Soul-Stücke des Abends, bis auf eines, stammen aus seiner Feder. Aber: für deren Orchester Arrangements waren andere verantwortlich. Peter Hinderthür und Jan-Peter Klöpfel haben mit sehr viel Humor für das Genre und Kenntnis über den schönen orchestralen Effekt die Sachen für den großen Klangkörper passend gemacht. Hinderthür, der geheime Star eines Abends, von denen viele hell auf der Bühne leuchteten, stand bescheiden an den Schlagwerken und beobachtete von ganz hinten das Geschehen. Bereits durch die ersten Takte der von Hinderthür geschriebenen Ouvertüre, mit der das Filmorchester den Abend und den Auftritt der Band einstimmte, wanderten der klassisch eingekleidete Akkord von Mousse T.s bekanntestem Stück. Sex Bomb, zwei Worte, ein Intervall, das dem britischen Sänger Tom Jones sein großes Comeback ermöglichte. Ja, auch das stammt von Mousse T., der in den Clubs der Welt ein ungeheures Gespür für Tanzbares entwickelt hat. Die ungewohnte Form der Stücke in der Umsetzung mit Streichern und Bläsern unter dem Taktstock von Scott Lawton, vermag dabei ihre Gesetzmäßigkeiten offen zu legen. Dieser Soul, von dem den Abend über die Rede ist, klingt sauber. Ein simpler Refrain, ob „I“m Horny“, wie in Mousse T.s erstem großen Hit, was ungefähr „Ich bin gerade sinnlich äußerst empfänglich“ heißt, oder „Maybe in May“, dazu eine einprägsame Melodie, fertig. Heraus käme eine Art klinischer Euro-Soul, wenn Mousse T. nicht so ein begnadeter Talent-Scout wäre. Denn die Stimmen, die er gefunden hat, sind eigene Charaktere, bis hin zu den zwei effektvoll eingesetzten schwarzen Background-Sängerinnen, deren Hüften zuverlässig wie Uhrzeiger kreisten.
Emma Lanford startet mit dem Radio-Ohrwurm „Is it“ cause I“m cool“. Ihr sattes Organ hat etwas von feinem Schmirgelpapier, das die Seele bloßlegt. Sie ist tatsächlich schon fast „unglaublich“. Dann kommt noch Calvin Lynch, Frisur wie Beckham, Stimme, so Mousse, zwischen Craig David und Sting. Auch „fantastisch“. Wer die Menge aber von den Sitzen hebt, sind Andrew Roachford und Sharon Phillips. Phillips trägt einen Ballongroßen Afro-Bob, zieht sich die Schuhe aus und ist ein nicht zu zügelnder Freigeist gegenüber dem Orchester, das bestimmt bedauert, eine gewisse Ordnung einhalten zu müssen. Roachford improvisiert schließlich John Lennons „Imagine“ am Klavier und lässt das Publikum die beiden entscheidenden, schrägen Töne des Songs alleine summen. Seine Stimme kriecht den Leuten die Wirbelsäule hinunter. Man will mehr. Mousse T., das Potsdamer Publikum erwartet Sie.
Matthias Hassenpflug
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