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Ein Gentleman. Jon Lord mit der Deep-Purple-Cover-Band: Bassist Maik Keller (rechts) und Gitarrist Mark Zyk.

© Manfred Thomas

Von Karsten Sawalski: Meilenstein der Pop-Geschichte

Deep-Purple-Organist Jon Lord führte sein legendäres Klassik- Rock-Konzert von 1969 im Nikolaisaal auf

Stand:

Jon Lord ist ein Gentleman. Der Mann, der mit Deep Purple den Hardrock prägte und in den 70er Jahren mit Privatjets um die Welt tourte, hat nichts Divenhaftes. Einige Minuten vor der Generalprobe am Samstagnachmittag steht er plötzlich auf der Bühne im Nikolaisaal: im schlichten Wintermantel, die schlohweißen Haare, hinten zum Zopf verknotet, umrahmen sein offenes Gesicht, über dem mittlerweile massigen Körper. Der „Maestro“, wie er in Rock-Kreisen genannt wird, ist sofort mit allen Mitwirkenden im Gespräch. Kurzerhand stellt er seinen Kaffee-Pappbecher auf dem polierten Flügel ab, plaudert mit Dirigent Scott Lawton vom Deutschen Filmorchester Babelsberg, begrüßt die jungen Musiker der Deep-Purple-Cover-Band „Demon’s Eye“, bevor er noch nette Worte an die Streicherinnen richtet.

Das für den Abend geplante Konzert „Jon Lord in Classic“ ist seit Monaten ausverkauft. Um die vielen Fans nicht zu enttäuschen, wurde die Generalprobe öffentlich gemacht. Eine schöne Idee. Der Saal ist zu zwei Dritteln gefüllt und die Besucher haben die seltene Gelegenheit, einen Pionier des Crossover-Gedankens bei der Arbeit zu beobachten. Nur zweimal unterbricht Jon Lord den Programmablauf. Einmal schlägt er Schlagzeuger Andree Schneider einen anderen Übergang vor, beim zweiten Mal verpasst Gitarrist Mark Zyk den Einsatz. Jon Lord korrigiert bestimmend aber freundlich – wie ein Gentleman. Als Komponist scheint er sein Werk nicht bis auf die letzte Note verteidigen zu wollen. Auf You-Tube finden sich viele aktuelle Fernsehausschnitte, in denen Jon Lord häufig im Gespräch mit Orchestermusikern zu sehen ist. Er lässt den Mitwirkenden Raum für Eigenes. Mit dem Babelsberger Filmorchester gelingt ihm am Samstag eine Interpretation, die Stoff für etliche Kinoszenen liefern könnte.

Das „Concerto for Group and Orchestra“ ist ein Meilenstein in der Pop-Historie. Allerdings dürfte den meisten älteren Hardrock-Fans eher die Aufführung als die Langspielplatte im Gedächtnis geblieben sein. Das Zusammentreffen von Deep Purple mit dem Royal Philharmonic Orchestra am 24. September 1969 in der Londoner Royal Albert Hall wurde vom britischen Fernsehen aufgezeichnet und einige Jahre später auch im westdeutschen Fernsehen gezeigt. „Wenigstens die Haare hätten sie sich schneiden können“, lautete damals ein typischer Kommentar. Die gesellschaftliche Kluft, die sich damals in der Musik manifestierte, war unübersehbar: Die Orchestermusiker im schwarzen Frack beäugten die langhaarigen Boheme-Rocker skeptisch von ihren höheren Sitzen aus. Jon Lord erschien in Wildlederweste, Schlagzeuger Ian Paice trug rosa Hemd und Sonnenbrille, Sänger Ian Gillan schaute mit Unschuldsmiene unter der langen Mähne hervor, während Richie Blackmore sein schwarzes Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft hatte. Blackmore soll sich nur widerwillig auf das Klassik-Projekt eingelassen haben. Der Gitarrist befürchtete einen Imageverlust und schuf darauf die markanten Riffs für „Deep Purple in Rock“. Die Platte verschaffte der Band internationalen Ruhm.

Die Verbindung von Rock und Klassik entwickelte sich jedoch nicht zu etwas Eigenständigem weiter. Von Metallica bis Hip Hop gibt es heute zwar etliche Aufnahmen mit klassischen Musikern, aber die beteiligten Orchester bleiben meist nur Beiwerk. Auch Jon Lords „Concerto for Group and Orchestra“ ist keine überzeugende Symbiose. Aber die Potsdamer Aufführung klingt schon wesentlicher verschmolzener, als die von 1969.

Damals war es eher ein Kräftemessen zwischen E- und U-Musik. Heute spielt der Generationskonflikt keine Rolle mehr. Das Babelsberger Filmorchester geht den ersten Teil, das „Allegro“ beschwingt an. Die Klarinette improvisiert eine alte Schlagermelodie. Der zweite Teil wird soft intoniert. Sänger Steve Balsamo bringt seine Musical-Erfahrungen ein, seine Stimme erinnert in den höheren Lagen eher an den ersten Deep-Purple-Sänger Rod Evans als an die Rock-Röhre mit Whiskey-Erfahrung von Ian Gillan.

Den dritten Teil leiten die Waldhörner grollend und rollend ein, die E-Gitarre übernimmt die Aufgabe einer Solo-Violine und das Drum-Solo wurde aufs Wesentliche verkürzt. Auch wenn einige Passagen heute immer noch konstruiert wirken und sich die Notwendigkeit des Einsatzes von elektrischen Instrumenten nicht immer erschließt, lassen Lord und das Babelsberger Filmorchester doch rockige und sinfonische Strukturen über weite Strecken ineinanderfließen.

Die Besucher sind vom aktuellen „Concerto“ jedenfalls begeistert und werden im zweiten Programmteil mit einem Deep-Purple-Klassiker belohnt. Schon bei den ersten Orgeltönen zu „Child in Time“ gibt es Applaus. Allerdings schafft Sänger Steve Balsamo, der gesundheitlich angeschlagen wirkt, die hohen Töne nur mit Unterstützung der jungen polnischen Sängerin Kasia Laska. Nichtsdestotrotz: Die Generalprobe mit Orchester und Band zu beobachten war ein Genuss und Jon Lord im Nikolaisaal ein Ereignis.

Karsten Sawalski

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