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Kultur: Meist nackte Tatsachen

Grafik, Malerei und Skulptur im „Erotischen Herbstsalon Nr. 2“ in der Galerie am Neuen Palais

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Grafik, Malerei und Skulptur im „Erotischen Herbstsalon Nr. 2“ in der Galerie am Neuen Palais Von Götz J. Pfeiffer Als sei die „Fledermaus“ durch die Galerie geflattert, summt man: „Chacun à son goût“. Auch der andere bekannte Satz aus der Johann Strauß-Operette gilt für die aktuelle Schau der Galerie am Neuen Palais: „S“ist mal bei mir so Sitte“. Bereits zum zweiten Mal wird zum „erotischen Herbstsalon“ geladen. Vor drei Jahren wurde der letzte abgehalten, in drei Jahren soll der nächste folgen. Im diesjährigen stellen 21 Maler, Grafiker und Bildhauer, darunter acht erstmals Beteiligte, über 100 Arbeiten aus: eine so materialreiche wie farblich und thematisch bunte Mischung. Aber wie viel des Ausgestellten ist der erotischen Kunst zuzuschreiben? Wie viel fällt in den Bereich der Pornografie? Die lexikalische Unterscheidung mutet angesichts des Themas reichlich fleischlos an, ist jedoch hilfreich. Erotisch sei alles, was vor allem andeute, metaphorisch umschreibe und die Fantasie anrege. Pornografie konzentriere sich auf die eindeutige Darstellung des Sexuellen unter Betonung des genitalen Bereichs. Seien es manche der Blätter Norbert Wientzkowskis, die abseits in einem kabinettartigen Seitenraum hängen, oder die unzweideutigen Tusche-Aquarell-Arbeiten von Lutz Brandt - ohne sich prüde schimpfen lassen zu müssen, darf man sich von manchem Einblick zwischen weit geöffnete Frauenschenkel unangenehm bis peinlich berührt abwenden. Ein Blick über alle Arbeiten zeigt, dass sich die einladend-eindeutigen Posen in bald langweilenden Stereotypen erschöpfen, während verschleiernde Darstellungen, kaum auf den ersten Blick fassbare Werke nicht nur dem Auge mehr Reize bieten. Hintergründig, wie beim Ukrainer Alexander Antoniuk Adam und Eva eine „Letzten Teestunde“ samt Äpfeln abhalten. Von seiner sinnlichen „Judit“, die züchtig die schmale Hand vor die Scham hält, möchte man nicht Holofernes gerufen werden. Auch dem „Liebespaar und Kater“ des Potsdamers Daoud Salman Anad schaut man erst in die Gesichter, um dann zu bemerken, dass Mann und Frau das Geschlecht des anderen halten. Auch der Kater nebendran kann sicher das Mausen nicht lassen. Mehr ver- als enthüllt die Schönen Kedron Barretts. Aufreizend wirft „Cousin Kate“ in einem Tanz die Glieder, während „Lola Blau“ eine Brust aus dem Kleid gerutscht ist. Da ist viel Augenzwinkern, mehr noch in der Zeichnung „Verarscht“, einem Frauenakt, der die Brüste oberhalb des Bauchnabels, unterhalb aber das Hinterteil präsentiert. „Ätsch“ hört man Barrett lachen und amüsiert sich mit. Eindeutiger die schwarzhaarige Schöne à la Klimt auf Bernd Baumgarts „Mondän“, seltsam gestrig mutet seine „Eva“ an, während er seiner „Lolita“ den Namen in das Mischtechnik-Bild schrieb, ihre Scham zwischen den hochgezogenen Beinen mit einer zerdrückten Cola-Dose bedeckte. Und ewig lockt der Konsum? Dem neugierigen Voyeuer bietet sich seine „Domina“, die ihr Herrchen mit einem Ring durch seine Zunge an der Leine führt. Was sieht man, wenn man das sieht? Derlei Eindeutigkeiten versteckt die Bregenzerin Nelly Bührle-Anwander auch mit der naiven Darstellung ihrer „Dame mit Hündchen“, einer Domina mit Herr an der Leine, oder der „katholischen Lust“, wo sich Pater und Nonne ganz unzölibatären Freuden hingeben. Hintersinniger und mit Anlehnungen an antike Erotica lässt Dietmar Buchmann den gemalten „Marsyas“ zwischen Weinranken grinsend Freuden genießen, lässt den gezeichneten „Faun“ oder den chinesisch anmutenden „Teufel im Kirschengarten“ ihr angedeutetes Spiel treiben. Dagegen erscheinen Harald Kretzschmars Tuschfeder-Zeichnungen der Serie „erotic antiques“ wie Cartoons: der Muskelprotz in „sklavisch“ stemmt vor sich eine so dunkelhäutige wie breitbeinige Frau, in „athletisch“ vollführen zwei Ringer allerlei seltsam anmutende Verrenkungen, die auch Geschlechtsakte sein könnten. Trotz realistischer Malweise verbreiten die Ölbilder Axel Gundrums ihre gewohnt traumhafte Atmosphäre, legt das kleinformatige „Schwesterchen“ kokett den Kopf auf die Seite, schimmert durch den halbdurchsichtigen Schwesternkittel ihr Körper. Und während ein dickliches Männchen im viel zu großen Königsmantel „Abschied vom Kindsein“ nimmt, legt ihm schon eine Schöne im Negligé die Hand auf die Schulter, grinsen dahinter weitere Frauen und Männer oder solche, die gerne Frau wären - der Beginn einer Farbe und Form gewordenen Irrfahrt des Adoleszenten. Dass die Geschichte der Kunst mancherlei andere Motive bereit hält, führt Dietmar Krömer auf seinem Ölbild „Spieglein, Spieglein ...“ vor, das nicht Schneewittchens böse Stiefmutter, sondern eine junge Frau vor den Spiegeln wie Bathseba im Bade vor einer zuschauenden Meute zeigt. Auch Rainer Sperlfehlt nicht, dessen Halbrelief „Traummusik“ unzweifelhaft auf das bekannte Foto des amerikanischen Dadaisten Man Ray zurückgeht, der einen Frauenrückenakt mit den geschwungenen Schalllochlinien eines Cellosschmückte, wohl weil ihn die weiblichen Formen des einen an die andere erinnerten, oder umgekehrt. Wie man tändelnd mit der „Fledermaus“ summen mag: Jeder nach seinem Geschmack. Bis 14. Dezember, Galerie Am Neuen Palais, geöffnet Mi-Fr 14-18 Uhr, Sa-So 13-18 Uhr.

Götz J. Pfeiffer

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