Kultur: Meister der abschweifenden Rhetorik Max Goldt brillierte im Lindenpark
Max Goldt ist eine seltsame Erscheinung: Er strahlt eine derart bescheidene Seriosität aus, dass man in ihm kaum den galligen Sprachartisten erwartet, der Nebensätze zusammenstapelt wie in einem Tetris-Spiel und einen damit in eine hakenschlagende Achterbahnfahrt von Pointen entführt. Goldt ist nicht nur der Uri Geller der deutschen Sprache, er hat auch durchaus das Zeug, germanistische Exkurse zu liefern - doch vor deren Trockenheit scheint es ihm zu grauen.
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Max Goldt ist eine seltsame Erscheinung: Er strahlt eine derart bescheidene Seriosität aus, dass man in ihm kaum den galligen Sprachartisten erwartet, der Nebensätze zusammenstapelt wie in einem Tetris-Spiel und einen damit in eine hakenschlagende Achterbahnfahrt von Pointen entführt. Goldt ist nicht nur der Uri Geller der deutschen Sprache, er hat auch durchaus das Zeug, germanistische Exkurse zu liefern - doch vor deren Trockenheit scheint es ihm zu grauen. Nein, da ist er lieber der Akrobat rhetorischer Figuren, der in seinen Kurzgeschichten aus einem so großen Kessel von Vokabular schöpft, als würde er jede Nacht eine ganze Kiste voll Nachschlagewerke der deutschen Sprache unter seinem Kopfkissen deponieren.
So war es auch am Donnerstagabend im gut besuchten Lindenpark beeindruckend, wie sich Max Goldt durch die Irrwege der Sprache mäanderte, ohne dabei in einem Bla-Bla oder in einer sinnentleerten Aneinanderreihung bloßer Worthülsen stecken zu bleiben. Er transportierte Botschaften, und zwischen seinen Zeilen blitzte gern hin und wieder eine absurde, maskierte Gemeinheit auf, die im krassen Kontrast zu seiner väterlich-gutmütigen, beinahe lethargischen Ausstrahlung stand. Und er instrumentalisierte den Witz in seiner eigentlichen Funktion: Hinter jedem Wort, hinter jedem der zahlreichen Nebensätze lauerte die im Goldtschen Duktus versteckte Überraschung, das Unerwartete, dessen stets bevorstehender Ausbruch den Zuhörer in einer knisternden Spannung gefangen hielt, die sich in unregelmäßigen Abständen – und in meist kleineren Kreisen – im Publikum entlud.
Bei einem derart geballten Feuerwerk an Pointen lohnt es sich schon, nur eine Auswahl seiner Titel zu zitieren: „Der Sprachkritiker als gesellschaftlicher Nichtsnutz und Kreuzritter der Zukunftsfähigkeit“ etwa, oder „Ich hatte nie darum gebeten, im Schatten einer Stinkmorchel Mandoline spielen zu dürfen“. So begibt man sich mit jedem seiner Texte auf eine Nachtwanderung ins Absurde, ohne jedoch den Bezug zur Realität zu verlieren.
Goldt ist Sprachpurist, ohne die Existenz von Anglizismen abzustreiten, die er genüsslich in seine Sprache einbaut – freilich nicht ohne sie mit dem ursprünglichen Akzent zu markieren. Er spielt mit der Sprache, reiht stakkatohaft Adjektive aneinander, führt mit abwegigen Passivkonstruktionen in die Irre und lässt letztlich doch wieder alles nahtlos ineinander fließen. Und ist sich dabei der Korrektheit bewusst: Bis zum Rücktritt Wilhelm Wiebels zählte er sogar die Tagesschau zum erlauchten Kreis korrekter Partizipialverwender. Und dennoch, kein Fleckchen grauer Theorie: „Geschwätzigkeit ist schlimmer als falsche Wortwahl.“
Das Sahnehäubchen ist jedoch Goldts einzigartige Prosodie beim Vorlesen: Seine ohnehin markante Stimme wird in allen Intervallen ausgereizt, er lässt die Stimme aus dem Bariton heraus anschwellen, betont zwischen den Akzenten, spielt mit Verzögerungen und rasanten Beschleunigungen, die ebenso unerwartet verebben. Er ist nun mal der König der Rhetorik. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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