Kultur: „Meister der schlimmstmöglichen Wendungen“
Sigrid Löffler über persönliche Traumata im Schreiben von David Vann, der am heutigen Montag in Potsdam liest
Stand:
Frau Löffler, erinnern Sie sich noch an Ihre erste literarische Begegnung mit David Vann?
Ja, sehr gut. Ich hatte sein Buch „Im Schatten des Vaters“ gelesen, das hier als Roman verkauft wurde, in den USA aber nur Teil eines größeren Bandes mit Erzählungen war. Danach habe ich mir gleich das Original besorgt, weil es mich absolut fasziniert hat, wie David Vann schreibt und an welchem Thema er sich abarbeitet.
Ein Thema, das immer menschliche Abgründe offenbart.
Ja, sein literarisches Hauptthema ist die Überprüfung des uramerikanischen Pionier-Mythos von der Frontier, wonach sich der Mann als Selbstversorger in der rauen Wildnis heldenhaft behaupten können muss. Nur sind Vanns Zivilisationsflüchtlinge dazu gar nicht in der Lage. Sie scheitern katastrophal, wie der Vater im ersten Buch, der seinen kleinen Sohn ins Pionierleben einweihen will, aber als Stadtmensch in der Wildnis kläglich versagt.
Am heutigen Montag stellt David Vann seinen neuesten Roman „Goat Mountain“ in Potsdam vor. Es ist seine dritte Buchvorstellung hier und jedes Mal waren Sie mit dabei. Wie haben Sie David Vann persönlich erlebt?
Ich bin immer wieder etwas verwundert über ihn. Er ist ja ein außerordentlich sonniger und fröhlicher Mensch, der einem mit einem Lachen sagen kann, dass es in seiner Familie fünf Mörder und Selbstmörder gab. Dass sein Vater sich umgebracht hat, als er dreizehn Jahre alt war. Ich habe Mühe, das einzuordnen, diese wirklich entsetzlichen Geschichten, die er in diesem heiteren Ton erzählt. In seinen Büchern ist er ein Meister der schlimmstmöglichen Wendungen. Er geht immer bis zum Äußersten, ein Extremist in der Erforschung kaputter Familien. Und wenn man ihn dann erlebt, so ausgeglichen, gut gelaunt und liebenswürdig, dann fragt man sich zwangsläufig, ob er das alles so gut verarbeitet hat oder ob er sich eine perfekte Maske zugelegt hat, damit niemand seine eigenen Verwundungen sieht, die er aber eindeutig in der Literatur auslebt und verarbeitet. Damit ist er mit Sicherheit einer der interessantesten und bedeutendsten US-Autoren der mittleren Generation.
Mittlerweile liegen vier Romane von David Vann auf Deutsch vor. Und in allen ist neben dem Scheitern an diesem uramerikanischen Mythos immer auch das Scheitern innerhalb der Familie Thema für ihn.
Ganz richtig, darum geht es David Vann. Er zeigt in seinen Büchern immer dysfunktionale, zerrüttete Familien und Ehen. In „Die Unermesslichkeit“ etwa geht ein Ehepaar daran zugrunde, dass der Mann glaubt, auf einer öden Insel in Alaska eine Blockhütte bauen zu müssen. Dieses Blockhütten-Bauen ist eine fixe Idee dieser Männer, obwohl sie es gar nicht mehr können. Dadurch entsteht auch eine hintergründige Komik. Trotzdem sind die Geschichten tragisch. In ihrer schrecklichen Folgerichtigkeit muten sie an wie antike Tragödien. Immer werden darin Familien vernichtet durch untergründige Hass- und Zerstörungsfantasien. Im Grunde bestehen diese Familien aus lauter depressiven Einzelgängern und potenziellen Selbstmördern.
Hinterfragt David Vann, der ja selbst Familie als Katastrophe erleben musste, so auch das gesellschaftliche Konstrukt und unsere Vorstellungen von Familie?
David Vann erzählt immer familiäre Unheilsgeschichten. Seine persönlichen, biografischen Traumata spielen da wohl auch hinein. Er thematisiert das selbst ausdrücklich im Nachwort zu seinem neuesten Roman „Goat Mountain“, wenn er schreibt: „Mit diesem Buch werden die letzten Reste dessen weggebrannt, was mich ursprünglich zum Schreiben trieb, nämlich die Geschichten über meine von Gewalt geprägt Familie“.
In „Goat Mountain“ erzählt David Vann von einem elfjährigen Jungen, der bei einem Jagdausflug einen Wilderer erschießt. Vann war als Kind regelmäßig auf solchen Jagdausflügen, hat Hirsche erlegt und selbst als Elfjähriger durch das Zielfernrohr eines geladenen Gewehrs einen Wilderer beobachtet. Wie wirken solche starken persönlichen Erfahrungen auf das Schreiben von Literatur?
An dieser Kernszene kann man den Unterschied zwischen Leben und Literatur gut studieren. David Vann erzählt, dass ihn als Elfjährigen damals ein Schwindel packte, ein Blutrausch, als er den Wilderer durch das Zielfernrohr sah. Aber er hat nicht abgedrückt. Im Roman hingegen drückt der Junge ab. Die Literatur erzählt nicht, was war, sondern spielt mit dem, was hätte möglich sein können. Diese Geschichte eines Jagdausflugs beschreibt ja gleichzeitig einen Mannbarkeitsritus: Der Elfjährige soll seinen ersten Hirsch erlegen und damit aufgenommen werden in die Welt der schießwütigen Erwachsenen. Der Roman beginnt mit einer Katastrophe und steigert sich dann ins immer Entsetzlichere.
Hoffnung gibt es auf keiner Seite in diesem Buch.
Weil sich Vanns Figuren über sich selbst täuschen. Im Kopf haben sie die archaische Vorstellung, eine atavistische Kulthandlung zu vollziehen. Aber de facto schwelgen sie im Blutrausch, und die stümperhaften Blutbäder, die sie anrichten, sind nichts als ein Rückfall in die Barbarei. Im Lager der Jäger werden der erschossene Wilderer und der erlegte Hirsch nebeneinander aufgehängt. Diese Männer machen keinen Unterschied mehr zwischen einem menschlichen Leichnam und einem tierischen Kadaver. Über den ermordeten Wilderer heißt es einmal, dass er nur ein lästiger Toter ist; nicht ordentlich ausgenommen und ohne Fell zum Abziehen. Diese unfassbare Barbarei wird auch dem elfjährigen Jungen anerzogen. Der ist nur stolz, da seine zwei Trophäen hängen zu sehen.
Der Junge wirkt von Anfang sehr abgebrüht, in seiner Empathielosigkeit regelrecht verstörend.
Der Kleine wächst ja in einer schießwütigen Gesellschaft auf. Er ist stolz darauf, dass er den Wilderer mit einem fantastischen Schuss über 200 Meter getroffen hat. Wäre es ein Hirsch gewesen, hätten ihn alle gelobt. Da zeigt sich, dass diesem Jungen bestimmte moralische Differenzierungen entweder verloren gegangen oder ihm nie beigebracht worden sind.
In seinen Romanen begegnet uns die Natur sowohl atemberaubend schön, aber auch voller Bedrohung. Zeigt uns David Vann, dass der Mensch von heute mit seinen überholten und auch verklärten Vorstellungen in der Wildnis nur scheitern kann?
Die Wildnis fungiert bei Vann als mehrdeutiger literarischer Topos: Sie ist grandios und erhaben, aber auch menschenfeindlich und gefährlich. Der Mann, der sich allein in freier Wildbahn bewähren will, erlebt die Wildnis als zweischneidig: einerseits als Sehnsuchtsort, andererseits aber auch als bedrohlichen Ort der Prüfung und der Konfrontation mit sich selbst. Die Wildnis ist ein extremer Charakter-Test, doch auch eine Seelenlandschaft – die ungezähmte Natur wird zur Spiegelung des eigenen Inneren. Pionierfahrten sind deshalb immer auch Entdeckungsreisen ins eigene Ich, Vorstöße in die gefährlichen Abgründe des Selbst, Begegnungen mit dem Irrationalen, mit dem Chaos des Unbewussten.
David Vann hofft, wie Sie ihn zitieren, dass er durch „Goat Mountain“ seine familiären Traumata endlich überwunden hat. Bisher waren diese Erfahrungen aber immer auch Antrieb und Thema seines Schreibens. Was kann das für den Schriftsteller David Vann bedeuten?
Ich bin selbst neugierig, worüber er künftig wohl schreiben wird.
Das Gespräch führte Dirk Becker
David Vann stellt am heutigen Montag um 20 Uhr seinen Roman „Goat Mountain“ (Suhrkamp 2014, 22,95 Euro) in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, vor. Die deutsche Übersetzung liest Christian Brückner, den Abend moderiert Sigrid Löffler. Der Eintritt kostet 10, ermäßigt 8 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03
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