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Bringt selbst den Regen zum Singen. Der Komponist und Pianist Ludovico Einaudi.

©  Oliver Mark/promo

Kultur: Meister des ganz Persönlichen

Ludovico Einaudi und sein Nightbook Ensemble auf der Waschhaus Open Air Bühne

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Er wird Meister der Entschleunigung genannt. Und wenn man sich die ersten Takte von „I Giorni“, dem Eröffnungstitel auf dem Album „Islands. Essential Einaudi“ des italienischen Komponisten und Pianisten Ludovico Einaudi anhört, macht sich eine fast schon heilsame Wärme und Ruhe in einem breit. Hier spielt einer ganz selbstbewusst auf der Klaviatur des mittlerweile zur Fahrstuhl- und Kaufhaushintergrundmusik verdammten Easy Listening. Eingängige Melodien von einfachster Schönheit. So, als würde da einer nur versonnen auf seinem Klavier improvisieren, ein paar Akkorde unaufgeregt in Harmonisches weben und dabei die eigenen Gedanken schweifen lassen, sie entschleunigen.

Dann aber, am besten mit dem Kopfhörer, taucht man tiefer in diese scheinbare Einfachheit von Einaudis Kompositionen ein. Aus der Ruhe heraus nimmt „I Giorni“ Tempo auf. Nicht allein unter den Händen von Einaudi auf dem Klavier. Es ist der eigene Körper, über den sich langsam eine angenehme Spannung legt. Der Atem geht ruhig und gleichmäßig, man schließt die Augen und gibt sich bereitwillig dem Rhythmus hin. Und aus der Entschleunigung entsteht Beschleunigung. Je tiefer man hört, umso klarer wird einem, wie perfekt diese Melodie einen sanftfordernd vorantreibt. Jetzt ganz spontan die Laufschuhe an und entgegen der Gewohnheit mit Musik in den Ohren auf die Strecke. Einfach nur „I Giorni“ in der Endlosschleife. Die Kilometer rollen, das Tempo ist hoch, aber mit dieser Musik fühlt es sich so leicht an. Die Lungen pumpen, die Muskeln brennen, doch der Kopf wird frei und das Laufen im Grenzbereich wird zum meditativen Moment. Entschleunigung in der Beschleunigung.

Ludovico Einaudi ist ein Meister der Überraschungen. Einer, der mit seinem träumerischen Gespür für Melodien in jedem von uns eine ganz besondere Saite berühren kann. Wenn wir uns darauf einlassen, entdecken wir. Was? Das muss, das darf jeder für sich erfahren. Es ist nichts Spektakuläres. Manchmal sind es nur Momente des Innehaltens. Aber so, als würde sich etwas ganz minimal im Raum- und Zeitgefüge verschieben und wir sind die einzigen Zeugen. Manchmal ist es nur eine schnelle Laufrunde durch den Park, die sich so leicht anfühlt. Aber egal was es ist, Einaudi hat da etwas in uns angeschlagen. Und in diesen Momenten können wir uns einfach nur glücklich schätzen.

Ludovico Einaudi ist ein Meister des ganz Persönlichen. Am Samstag, dem 5. August, ist er zusammen mit seinem Nightbook Ensemble auf der Waschhaus Open Air Bühne zu erleben. Es ist das einzige Konzert in Deutschland, das Einaudi mit seinen fünf Begleitern geben wird. Ein Konzert, das im Übergang vom Abend zur Nacht seine perfekten Rahmenbedingungen findet. Das aber gleichzeitig auch zum Wagnis werden kann. Denn Einaudis sanfter Anschlag, das Sparsame und oft Reduzierte seiner Kompositionen macht diese Musik zu etwas ganz eigenem. Fast möchte man von einer ganz persönlichen Bindung zwischen Musik und seinem Hörer sprechen. Und wem das nun arg übertrieben erscheinen mag, der wird die Erfahrungen machen, wenn er erst einmal in Einaudis Klangwelt eingetaucht ist, dass jede noch so kleine Störung wie eine tiefe Erschütterung wirkt.

Auf dem Programm an diesem Abend in Potsdam stehen Titel von der aktuellen Veröffentlichung „Islands. Essential Einaudi“, das Ausgewähltes aus den mittlerweile 13 Alben des 55-Jährigen präsentiert. Eine Werkschau besonderer Momente, in der die Schönheit den Namen Melancholie trägt und das Klavier dominiert. Gelegentlich nur begleitet von Violine und Viola, Cello und Percussion.

Manchmal überrascht einen diese Faszination für Einaudis Musik beim Hören dann doch selbst. So einfach, so eingängig und so flüchtig. Da sind zwar die zahlreichen Anspielungen an die „Minimal Music“, doch vor allem die offensichtliche Nähe zur Filmmusik, in der sich der Italiener längst einen Namen gemacht hat. So gehörte zu Einaudis jüngsten Projekten die Filmmusik zu „Black Swan“.

Einaudi scheut sich nicht, das Simple mit dem Schönen zu verbinden, was schnell zum Vorwurf der Oberflächlichkeit führt. Doch auch wenn Ludovico Einaudi seinen Zuhörer mit seinen Kompositionen nicht herausfordert, manche gar vorhersehbar sind, er biedert sich nicht an. Seine Kompositionen sind wie Inseln. Inseln aus Wasser, die an der Oberfläche schön, aber unspektakulär erscheinen. Doch wer eintaucht, erlebt Einaudi als Meister der Entschleunigung und Beschleunigung, als Meister der Überraschungen und des ganz Persönlichen. Und wenn auf der Waschhaus Open Air Bühne vielleicht „I Giorni“ erklingt und die Stadt um einen herum mit all ihren Geräuschen vom Abend in die Nacht gleitet, wird das alles möglicherweise plötzlich Teil dieses Liedes. Denn ganz unter uns, irgendwie ist Ludovico Einaudi auch ein Zauberer.

Ludovico Einaudi & The Nightbook Ensemble am Samstag, 5. August, 21 Uhr auf der Waschhaus Open Air Bühne, Schiffbauergasse. Eintritt im Vorverkauf zwischen 32 und 42 Euro. „Islands. Essential Einaudi“ ist bei Decca Records erschienen

Dirk Becker

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