Kultur: Meisterhaft
Ein Abend für Thomas Bernhard im Literaturladen
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Was für ein Auftakt. Dem grandiosen Vernichter Thomas Bernhard hatte Carsten Wist in seinem Literaturladen den Auftakt bei der Wiederaufnahme der Lesereihe „Montags immer“ überlassen. Und lesen ließ er dabei aus dem Werk des großen Österreichers, das nur so von Beleidigungen und Sprachvernichtungen gegen das Theater, Regisseure und Schauspieler strotzt, von Bernd Geiling, René Schwittay und Michael Schrodt, drei Schauspieler vom Potsdamer Hans Otto Theater.
Umkreist wurden bei dieser Lesung unter dem schlichten Titel „Thomas-Bernhard-Abend“ solche Menschen, von denen der Schriftsteller und im ganz besonderen Sinne die Veröffentlichung und Verbreitung seines Werkes abhing: Verleger und Schauspieler. Menschen aber, denen Bernhard gleichzeitig in heftig-herzlichster Abneigung verbunden waren. Den Anfang machte dann René Schwittay mit einer kurzen Auslassung Bernhards über den allgemeinen Typen des Verlegers, dem es an sich ja nur um das Geld gehe und der, weil er das Verlegen ja zu seinem Beruf gemacht hat, ein recht konfuser Mensch im Sinne des Wortes verlegen sei. Schwittay las mit Kraft und Ausdruck und gab dem Bernhardschen Ton die entsprechend deftige Würze. Und so war der Zuhörer schon nach wenige Minuten in dem gut besuchten Obergeschoss des Literaturladens selig im Bernhardschen Sprachkosmos aufgehoben. Genoss diese unübertroffenen Bitterbosheiten, weil so herrlich treffend gelesen. Dann übernahm Michael Schrodt und las aus dem umfangreichen Briefwechsel zwischen Bernhard und seinem Verleger Siegfried Unseld. Vor fünf Jahren ist dieser grandiose Schlagabtausch zwischen diesen beiden Meistern erschienen. Über 800 Seiten umfasst dieser Briefwechsel in Buchform, in dem Bernhard Briefe schrieb, die Literatur sind. Voller Boshaftigkeiten und Übertreibungen, perfekter Dramaturgie und dem entsprechenden Furor, aber auch mit der nötigen Überheblichkeit eines selbstbewussten Schriftstellers und dem notwendigen Selbstmitleid. Schrodt las mit herrlichsten Sarkasmus und spitzester Ironie und ließ seinen Bernhard sich ereifern, dass es eine Freude war. Darauf folgte dann Bernd Geiling, der einen der Helden aus dem Bernhardschen Kosmos ziellos durch Wien laufen ließ und auf einen seltsam gekleideten, an einer Verstörung leidenden Mitmenschen treffen lässt. Absurde Situationen verlorener Seelen. Geiling las mit leicht blasiertem Ton, mit dem er wunderbar die Überheblichkeit der Bernhardschen Figur traf. Gleichzeitig aber auch mit entsprechender Ernsthaftigkeit, die wie nebenbei die seelischen Abgründe offenlegte und so den ganzen Horror dieser absurden Erzählsituation offenbarte. Und immer wieder die Beschimpfungen des Theaters, der Regisseure und Schauspieler, die Geiling, Schrodt und Schwittay so herrlich gelassen lasen, als würde sie das gar nicht betreffen.
Vor 25 Jahren ist der große Schriftsteller und Dramatiker Thomas Bernhard viel zu früh verstorben. Der „Thomas-Bernhard-Abend“ im Literaturladen machte diesen Verlust einmal wieder mehr als deutlich bewusst. Gleichzeitig hatte man aber schon lange nicht mehr so herzhaft über seine grandiosen Boshaftigkeiten gelacht. Denn Bernhard lebt von der Interpretation seiner Sprache. In Geiling, Schrodt und Schwittay hat er drei Meister gefunden. Dirk Becker
„Montags immer – immer 19 Uhr“ wieder am 17. März unter dem Motto „News – Bücher – Anekdoten. Ein Abend zur Leipziger Buchmesse“ im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße
Dirk Becker
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