Kultur: Melancholisch durch das Jahr Literarisch-musikalische Soiree mit Rilke-Versen
Ganz im Dunkel liegt der Neuendorfer Anger, nur aus den kleinen Fenstern der Alten Kirche im heutigen Babelsberg leuchtet Licht. Erst im Inneren zeigt sich die Pracht der gelungenen Restaurierung mit hohen, zartgelben Wänden und der blauen, mit kleinen Goldsternen bestreuten Kuppel.
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Ganz im Dunkel liegt der Neuendorfer Anger, nur aus den kleinen Fenstern der Alten Kirche im heutigen Babelsberg leuchtet Licht. Erst im Inneren zeigt sich die Pracht der gelungenen Restaurierung mit hohen, zartgelben Wänden und der blauen, mit kleinen Goldsternen bestreuten Kuppel. An der Seite steht eine meterhohe Fichte mit dicken gewachsenen Tannenzapfen und vielen Lichtern besetzt. Ein malerisches Ambiente für die literarisch-musikalische Soiree von Christine Uhde mit Gedichten von Rainer Maria Rilke. Die Zuhörer in den gut gefüllten Reihen lauschten gebannt den Worten und den musikalischen Klängen, die von Cellist Benno Kaltenhäuser und Gitarristin Beate Masopust angestimmt wurden.
Gekleidet in ein langes, schimmerndes Gewand in Dunkelblau und mit Goldspitzen eröffnet Christine Uhde mit Rilkes Gedicht „O Leben, Leben wunderliche Zeit“. Wunderlich, unerklärlich, schwer und schleichend wie in diesem Gedicht geht es an diesem Spätnachmittag in der Neuendorfer Kirche nicht unbedingt zu. Doch es bleibt nicht aus, dass die 20 ausgewählten Gedichte aus über 1000, die Rainer Maria Rilke geschrieben hat, überwiegend melancholische Töne anschlagen. Das mag durchaus repräsentativ für den Dichter und seine Werke sein.
Dem Willen der Dramaturgie gemäß reisen die Zuhörer mit Rilke durch das Jahr, das symbolisch betrachtet Leben bedeutet. Je fünf Gedichte stehen für die vier Jahreszeiten, so finden sich die „Blaue Hortensie“, „Das Karussell“ oder „Ein Frühlingswind“ im ersten Abschnitt. Christine Uhde, die auswendig deklamiert, schlüpft bei jedem Gedicht in eine Rolle. Elegische Blicke in die Ferne, ein angedeutetes Winken, weit geöffnete Arme, Gesten der Andacht und der Ergriffenheit fügen den Wortwelten der Lyrik lebende Bilder hinzu.
Gern verwendet die Schauspielerin auch kleine Requisiten, etwa eine Federboa zum „Karussell“, eine Schale mit weißen Rosenknospen zum Titel „Das Rosen-Innere“ oder brennende Kerzen zum Titel „Nacht“. Jedes Gedicht ist zudem perfekt abgestimmt auf die musikalische Begleitung und wird so zu einem Wort-Klang-Werk aus einem Guss. Benno Kaltenhäuser, der Gentleman am Cello, erfreut mit subtilen, dunkel-goldenen Tönen. Beate Masopust, renommierte Gitarristin und Tochter von Christine Uhde, erweist sich als vielseitige Musikerin und schlägt in verschiedenen Stilrichtungen stets die rechten Saiten an.
Es überwiegen französische Klänge vom Spätromantiker Jean Gabriel Prosper Marie bis hin zu Erik Satie. Besonders klangschön gelingen „Elegie“ und „Pavane“, zwei Werke von Gabriel Fauré. Doch auch Felix Mendelssohns „Auf den Flügeln des Gesangs“ und ein samtig verschattetes „Notturno“ des Cello-Virtuosen Georg Goltermann setzen ausdrucksvolle Akzente, wobei auch hier eine elegische Stimmung überwiegt.
Für sich genommen hat jeder Beitrag, sei es Gedicht oder Musik, seine Reize. Doch die Anhäufung von Gedichten mit tragisch-traurigen Anwandlungen, die bereits bei Titeln wie „Abschied“, „Einsamkeit“, „Ernste Stunde“ und „Klage“ anklingen, verbreitet Trübsinn und Melancholie. Solch eine ausgesucht edle, herrlich deprimierende Tour mit Rainer Maria Rilke hätte wohl besser in den Monat November gepasst als in die Adventszeitkurz vor Weihnachten . Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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