Kultur: Metallisch
„Zeit der Engel“ mit Björn Casapietra im Nikolaisaal
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Die Geburt Jesu liegt schon einige Tage zurück. Doch die heiligen drei Könige sind weiterhin auf dem Weg zur Krippe, wo sie am 6. Januar eintreffen. Also ist noch „Zeit der Engel“, wo sie ihre diversen Schutz- und Begleitfunktionen erfüllen können. Zu ähnlicher Sorgfaltspflicht fühlen sich auch Tenor Björn Casapietra, sein gitarrespielender Halbbruder Uwe Hassbecker und die Schweizer Pianistin Sibylle Briner berufen, die gegenwärtig mit dem „Engel“-Programm durch die Lande touren. Zeitlich noch passende Weihnachtslieder, romantische Liebeslieder und volksliednahe Romanzen ließen sie auch bei ihrem Auftritt am Sonntag im Nikolaisaal erklingen. Ein begeisterungswilliges Publikum hat ihn fast bis auf den letzten Platz gefüllt.
Im Verlaufe des zweieinhalbstündigen Abends verkündet der Sänger, dass er die Brüche liebe und deren Ecken und Kanten. Dass er sich als Klassik-Charmeur mit der harten Gangart des Rock in Beziehung setzt, spricht für das Ausreizen solcher Grenzsituationen. Aber er hat leider auch die Übertreibungen tontechnischer Verstärkung übernommen. Aufgedrehte Regler und Hall ohne Ende: Glaubte man, vor Schwerhörigen musizieren zu müssen?! Ist ihnen nicht vorher vom Veranstalter der KlassikPopShow gesagt worden, dass der Nikolaisaal ein akustisch hervorragender Konzertsaal ist, in dem sich der Klang von allein trägt?
Auch mutet es merkwürdig an, wenn die Pianistin plötzlich moniert, das Licht sei ihr zu grell und der Sänger feststellt, es sei doch wohl zu viel des zugemischten Halls, wofür er spontanen Zwischenbeifall erhält! Ja, hat denn vorher kein Sound- und Lichtcheck stattgefunden?! Unberührt von alledem Uwe Hassbecker, der sich je nach Stückanforderung mit verschiedenen Instrumenten aus seiner Gitarrenbatterie bedient. Er zupft, glissandiert, führt Riffs vor, schlägt harte Akkorde und greift auch zur E-Geige, die pure Wonne. Dabei bedient er sich der Technik zur Ausdruckssteigerung, ohne ihr untertan zu sein. In ihren solistischen Beiträgen mit Stücken von Ravel und Bach lässt sich Sibylle Briner dagegen von der Tonverstärkung verführen. So klingt kristallklar, überlaut und metallisch hart, was anschlagsmäßig eigentlich doch einen Funken von Gefühl enthalten sollte. „Sie spielt, wie Sie die Stücke zuvor noch nie gehört haben“, wird sie von Björn Casapietra angepriesen. Wie recht er doch hat. Leider.
Doch auch er ist in die Technikfalle getappt. Seine lyrische, ansonsten so einschmeichelnd ausdrucksvolle Stimme mit ihrer baritonalen Färbung wirkt aufgebläht, ungeschmeidig, in ein unschönes Metallkorsett gezwängt. Er forciert, besser: die Technik forciert ihn, was das Zeug hält. Nur selten gelingt es ihm, die Bereiche des Fortissimo zu verlassen. Wie unkritisch zu sich selbst muss man sein, wenn man das „Es ist ein Ros’ entsprungen“ als ein „wunderschönes, zartes deutsches Winterlied“ anpreist, um es dann in Grund und Boden zu dröhnen?!
Von Zartheit und Stimmenschmelz ist beispielsweise auch in Adams „Cantique de Noël“ keine Spur. Statt Intimität und Gefühl tönt aus den Boxen schneidender Stahl. Wie beim berühmten Albinoni-Adagio, in der vokal-instrumentalen Bearbeitung als „Amore perduto“ (Verlorene Liebe). Als moderierende Plaudertasche erzählt Björn Casapietra zwischendurch von seiner elfmonatigen Tochter. Ganz in seinem Element ist er dann in italienischen Canzonen, prunkt mit Kraft und Höhe, animiert auf ranschmeißerische Art das Publikum zum Mitsingen. Ovationen.Peter Buske
Peter Buske
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