Kultur: Minenfelder
Norbert Mappes-Niedieks Buch: Die „Ethno-Falle“
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Das ehemalige Jugoslawien habe in den 90er Jahren etliche Minenfelder durchschritten, die Europa noch bevorstehen, sagte der Balkanexperte Norbert Mappes-Niediek gleich zu Beginn seiner Buchvorstellung am Mittwochabend in der Landeszentrale für Politische Bildung. Damit spielte der 53-Jährige auf die schweren ethnischen Konflikte in dem zerbrochenen Vielvölkerstaat an, die bis heute schwelen und die nach seiner Überzeugung jeder multikulturellen Gesellschaft drohen, wenn diese politisch falsch organisiert wird.
Dem langjährigen freien Südosteuropa-Korrespondenten Mappes-Niediek gelang es, mit ausgewählten Passagen aus seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Ethno-Falle: Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann“ die rund 20 Anwesenden zu fesseln. Eine zentrale These von Mappes-Niediek ist, dass man ethnischen Gruppen nicht zu viele Sonderrechte einräumen dürfe. Jugoslawien befand sich seiner Überzeugung nach auf einem politischen Irrweg, als es, in der Absicht, besonders liberal zu sein, eine ausufernde Zahl von Gruppenrechten gewährte. Auf die Zwischenfrage einer Zuhörerin, ob er denn dafür plädiere, eine kulturelle Leitkultur in Deutschland zu etablieren, verneinte er dies jedoch entschieden. „Mit einem solchen Begriff kann einfach zu viel Schindluder getrieben werden“, sagte Mappes-Niediek. Ein funktionierendes multikulturelles Miteinander brauche keine von oben verordnete Kultur, sondern eine verbindliche, gemeinsame Rechtsgrundlage.
Alle Fragen, die nach der Lesung an den Autor gestellt wurden, waren mit viel Bedacht und vorsichtig formuliert. Augenscheinlich genießt die Arbeit von Mappes-Niedick auch in Fachkreisen großen Respekt.
Der Autor des bereits in zahlreiche Sprachen übersetzten Buches verstand es, selbst ausgefallene Fragen spontan sachkundig zu beantworten. So hatte er eingangs erzählt, dass man sich im ehemaligen Jugoslawien einem Volk zugehörig erklären konnte, ohne dass dies vom Staat überprüft worden wäre. Darum hätten Angehörige des Volkes der Roma, die es satt hatten, als Zigeuner verunglimpft zu werden, irgendwann erklärt, die englische Bezeichnung Gypsi sei ein Beleg für ihre ägyptische Herkunft. Fortan hatte man ihnen als Ägyptern auch im Parlament eigene Sitze zugestanden.
Eine Zuhörerin, die selbst an der Universität von Scopje gelehrt hatte, sprach ihn daraufhin auf eine Theorie an, nach welcher Alexander der Große tatsächlich Ägypter als Kesselflicker und Korbflechter auf den Balkan geholt haben soll. Norbert Mappes-Niediek kannte diese Variante, erklärte aber, dass sie von der Wissenschaft mittlerweile zweifelsfrei widerlegt worden sei. Die Roma hätten die Scheinidentität angenommen, weil sie mit rechtlichen Vorteilen verbunden gewesen sei. Andere Ethnien hätten in ähnlicher Weise ihren Nutzen aus der verfehlten jugoslawischen Politik gezogen, so der Autor.
Bei der Organisation des zukünftigen Europas gelte es deshalb, eben diese Fehler nicht zu wiederholen. Juliane Schoenherr
Juliane Schoenherr
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