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Kultur: Misslungen

Harry-Kraft-Kolloquium im Varieté Walhalla

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Harry-Kraft-Kolloquium im Varieté Walhalla Wer ist Harry Kraft? Die einen, die sich am Montag Abend auf der Varietébühne Walhalla abmühten, nennen diese Figur ein „verkanntes Genie“ und einen „außergewöhnlichen Künstler“. Sie halten anlässlich eines fiktiven „21. Kolloquiums“ einer fiktiven Stiftung ausladende Vorträge und bringen fiktive Lieder, die aus der Feder des Komponisten stammen sollen, zu Gehör. Sie alle scheinen sich königlich darüber zu amüsieren, wie der „Vorsitzende“ der Stiftung, Kay Dietrich, bierernst am Rednerpult steht. Als hätte die Karnevalssaison schon begonnen, reiht er, professoral in Karosakko mit Fliege, Worte wie „eklektizistische Paraphrase“ und „Reflektionsmultiplizierung“ aneinander, und mit kindlicher Freude kichert es im Publikum um so viel Humor. Man fragt sich, welche Drogen im Spiel sind, denn dieser Nonsens, der vom Hans Otto Theater geboten wird, kann selbst unmöglich so anregend gewirkt haben. Oder war es nur die köstliche Droge Überheblichkeit? Hier wirkt das Phänomen des Gruppenzwangs. Irgendjemand im stark selbstreferentiellen und damit für Selbsttäuschungen besonders anfälligen Sud des Theaters muss einmal in Schnapslaune den Namen Harry Kraft in die spätabendliche Runde geworfen haben, und dann haben einige – aus Höflichkeit und Kollegialität – über diesen Klamauk zu schmunzeln begonnen. Schon war ein Programm geboren. Und das Publikum, das fast ausnahmslos aus Ensemblemitgliedern, Mitarbeitern und Freunden des HOT zu bestehen scheint – jeder Dritte der vielleicht 30 Stühle war für sie reserviert – schüttet sich aus über diesen institutionalisierten Privatwitz über „Harry Kraft“. Sie amüsierten sich köstlich über die Lied-Parodien Rahel Ohms. Sie singt davon, dass die Milch im Kaffee flockt, die Schnürsenkel auf sind oder die Gewürzgurke sich nicht aufspießen lässt. Dies wird nicht witziger dadurch, dass sich jemand im Publikum wegschmeißen will vor Lachen. Es bleibt eine unausgegorene, ärgerlich pseudohafte Irritation. Es mag Formen des Trashes geben, bei denen die komplizierte Rechnung, Talent und Größe bloß zu behaupten und das durch gespieltes Untalent und Unvermögen gleichzeitig ironisch zu brechen, aufgeht. In diesem bedauerlichen Fall jedoch rutschten die Schauspieler, so auch Adina Vetter als Nichte Harry Krafts, unglücklich in ihren nicht ausgearbeiteten Rollen hin und her, dass jede kecke Behauptung einer Fiktion misslingen musste. Schade um den Abend. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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