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Kultur: Missverstehen

Andrew Harwood und Benno Voorham im T-Werk

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Zwei Körper die sich gegenseitig halten, übereinander rollen und aufeinander knien. Immer umsichtig darauf bedacht, den anderen zu stützen oder aufzufangen. Sie nehmen sich in den Arm, legen den Kopf in die Handfläche des Partners. Der sanfte Umgang zweier Menschen, die sich innig freuen, einander zu treffen. Physis und Habitus ähneln sich sehr, sie könnten Brüder, gar Zwillinge sein: die Choreographen und Tänzer Andrew Harwood und Benno Voorham – der eine aus Montreal, der andere gebürtiger Niederländer – am Mittwoch im T-Werk mit ihrem Stück „Miscellaneous Misunderstandings“.

Die Videographikerin Paula Zacharias unterstützte die beiden mit visuellen Einspielungen. Während Harwood und Voorham sich tanzend immer auf den anderen beziehen, filmt Paula Zacharias, abseits beobachtend, ihr Spiel und wirft es auf zwei Leinwände. Die eine groß, im Hintergrund, zeigt das ganze Geschehen, die andere vorne, klein, spiegelt Ausschnitte wider. Die Bildschirme abstrahieren den lebendigen Tanz. Und gleichzeitig verschwimmen die realen Darsteller mit denen auf der Leinwand. Manchmal scheinen sie Kontakt aufzunehmen als ständen plötzlich vier Menschen auf der Bühne. Ein Stück, das überrascht und berührt durch die körperliche Hinwendung und Einfühlsamkeit an einen anderen Menschen. Die visuellen Einspielungen schenken der Bühne vielschichtige Ebenen, die sowohl Distanz und als auch zusätzliche Nähe erlauben. Ein Stück das trotz ernsthafter Momente nie anstrengt, sondern immer verspielt bleibt.

Harwood und Voorham arbeiten mit dem zeitgenössischen Tanzstil der Kontakt Improvisation. Ihre tänzerischen Improvisationen der Doppelgänger erzählen vom ewigen Hin und Her einer Beziehung zwischen Nähe und Distanz. Auf dem Bildschirm im Hintergrund erscheinen raufende Hunde. Das Spielerische wird zunehmend ernst. Drohgebärden. Die Tänzer schieben sich gegenseitig weg, fassen sich so heftig an, dass daraus eine Diskussion entsteht. Um dann voneinander abzulassen. Rückzug und Vorsicht folgen.

Jeder hat sich – diagonal gegenüber – in einer Ecke verschanzt. Weit voneinander entfernt setzten sie sich mit dem Rücken zueinander. Es ist das erste Mal, dass der Titel des Stücks „Miscellaneous Misunderstandings“ greift. Bislang verlief die Kommunikation zwischen den Tänzern fließend und reibungslos. Jetzt sitzt und tanzt jeder für sich selbst. Doch lange können sie nicht ohne einander. Der eine fängt den anderen in einem großen Plastikzylinder ein. Als könnte er ihn damit bannen. Der Schlag eines Herzens pulsiert durch den Raum.

Vom Plastikzylinder befreit, setzen sie sich mit dem Rücken zum Publikum nebeneinander auf zwei Stühle. Sie ziehen sich die T-Shirts aus und Paula Zacharias nähert sich mit einem langen Teleskop – wie ein Voyeur. Der Zuschauer sieht die beiden von hinten und gleichzeitig von vorne auf der Leinwand: Ganz still legen sie ihre Köpfe aneinander und umarmen sich als wollten sie Trost spenden. Aus dem Eimer nimmt einer einen Schwamm und langsam waschen sie sich gegenseitig den Rücken. „Das ist ein ganz zarter, sanfter Moment“, erläutert Andrew Harwood, „Es ist ein universelles Bild. So waschen sich Menschen seit vielen Generationen den Rücken.“ Antje Stiebitz

Antje Stiebitz

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