Kultur: Mit Daumen rauf und runter Schüler spielten Kabarett im „Obelisk“
„Was Grete kann, können wir schon lange!“, meinte ein junger Mann nach dem neunzigminütigem Kabarett-Programm „Wir Wendekinder“ ganz selbstbewusst, und bat die Grand Dame des „Obelisk“ am Sonntagabend für ein großes Dankeschön auf die Bühnedes Obelisk-Kabaretts.
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„Was Grete kann, können wir schon lange!“, meinte ein junger Mann nach dem neunzigminütigem Kabarett-Programm „Wir Wendekinder“ ganz selbstbewusst, und bat die Grand Dame des „Obelisk“ am Sonntagabend für ein großes Dankeschön auf die Bühnedes Obelisk-Kabaretts.. Wie ihre Kollegen, gehorchte Gretel Schulze, ebenso glücklich wie die einundzwanzig Darsteller der Goethe- und Lenné-Gesamtschule, ihr halbjähriges Projekt mit so viel Verve über die Bühne gebracht und das volle Haus damit so prachtvoll erreicht zu haben. Über die Umstände dieses Vorhabens, welches die Robert Bosch-Stiftung ermöglichte, hatten die PNN berichtet, in medias res also.
Nach einer kurzen Ansage wurde der Zuschauer gleichsam vor oder besser hinter eine unruhige Menge postiert. Alle warten darauf, daß sich die „Glienicker Brücke“ öffne, indes eine Frau ihrer Niederkunft erwartet. Ein Westarzt hilft, wundert sich aber im hohen Moment von „Freiheit und Brüderlichkeit“ über die primitiven Ossis. Nach der geschickt inszenierten Geburt dieses ersten Wendekindes schlägt man Namen vor, darunter Erasmus (der Rotterdamer), Wladimir (Lenin), aber auch Helmut, wie Kohl. Nach einer so geschickten Eröffnung hätte es sich nun angeboten, jene programmatische Neugeburt, jetzt so alt wie fast alle Spieler, zum Protagonisten dieses zwar munteren, aber manchmal etwas schüchtern wirkenden Abends zu machen: Alle Texte selbst geschrieben, der Ablauf noch kurz vor dieser mit stehenden Ovationen bedachten Premiere umgestellt – es wäre Sache der „coachenden“ Obelisken gewesen, eine Dramaturgie in diesem Sinn zu empfehlen. Aber derartige Projekte sind ob ihrer Neuheit und des gewaltigen Aufwandes schon an sich ein Wert. Sei es also, auch wenn dem Trupp wohl doch noch ein Gran an der Qualität einer Gretel Schulze fehlt.
War es trotzdem mehr als eine jener professionellen „Ossi-Reprisen“ auf Kabarett-Stelzen? Ja. Schüler mit so günstigen Konditionen sollen frecher reden als der Erwachsenen viele. Wenn eine farbige Darstellerin ob eines Unfalls darüber klagt, dass es hierzulande (wegen ausländerfeindlicher Sprüche) eine Extra-Statistik für Schwarze gibt, zwei Lehrerinnen über ein ausgeglichenes Mädchen reden, welches einfach nicht weinen will und deshalb mangelnder Sensibilität beschuldigt wird – na, das kriegt man noch hin! – so geht es um die Gegenwart dieser Generation. Widerstand ist möglich: Nachdem ein Westlehrer seine Ostklasse der Blödheit bezichtigt, wird er am Ende gewarnt: Die 89er wissen, wie man eine Mauer einreißt!
Alle Texte, klar, sind Kritik an Erscheinungen, sehr schön und lang in der Gerichtsszene dargestellt: Nachdem ein superkluger Schüler durch zu viel TV zum Blödmann wurde, kommt es zu Anklage, doch man spricht – Daumen rauf! den Fernsehproduzenten frei. Die starke England-Szene zeigt, wie ein „kleine Fritz“ in einem britischen Internat den real existierenden NS-Geist der Insel erlebt. Oder der Dialog zwischen einem Mädchen und dem allwissenden Herrn Schäuble auf einem rollenden Bürostuhl: Kann man den Unmut über die Total-Überwachung besser ausdrücken? Mit starken Szenen, Musik an Klavier, Gitarre und Saxophon, und allen Erfahrungen im darstellenden Spiel zog man gegen die Phänomene dieser Gesellschaft zu Felde: Daumen rauf oder runter? Klare Sache. Ob das jemanden „ganz oben“ interessiert? Die Zuschauer schon, sie belohnten den Geist des Abends mit kräftigem Applaus. Gerold Paul
Weitere Vorstellungen am 7. und 8. 4., 19 Uhr
Gerold Paul
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