Kultur: Mit Gänsehaut
Nikolaisaal: Beethovens Violinkonzert im Gespräch
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Kann man ein Wunder erklären? Eigentlich nicht, denn seine wesentlichen Elemente können zwar erspürt und erlebt, aber nicht mit empirischen Kategorien erfasst werden.
Ludwig van Beethovens einziges Violinkonzert ist, wenn schon vielleicht kein Wunder, so doch ein Wunderwerk, das magische Wirkung verströmen kann. Welch’ großes Interesse es bis heute weckt, konnte man in der Reihe „Klassik am Sonntag“ im ausverkauften Nikolaisaal sehen.
Die Brandenburger Symphoniker präsentierten „Beethovens heimliches Paukenkonzert“ in einem Gesprächskonzert mit Clemens Goldberg und der Solistin Katrin Scholz. Zunächst wurde scheibchenweise vorgespielt und besprochen, nach der Pause gab es das Werk im Ganzen, ohne Worte, nur die reine Musik.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Geschadet haben die Erklärungen von Clemens Goldberg keinesfalls. Er fand zu einer populären Redeweise, angereichert mit fachlichen Hinweisen und gewürzt mit spontaner Begeisterung, die beim Publikum sehr gut ankam. „Gänsehaut! Haben sie auch Gänsehaut? Hoffentlich!“, ruft er bei einer besonders „mystischen“ Stelle. Der musikalisch grundierte erste Auftritt der Violine wird beschrieben als ein „Hoffnungsfenster, das sich auftut, und da kommt der Engel der Violine herein geschwebt“.
Sicher hat der eine oder andere Zuhörer das Konzert danach ganz neu und anders gehört. Doch natürlich geht es auch ohne das. Jeder Mensch kann die Musik einfach anhören und in einen intimen Dialog mit ihr treten. Dass dieser besonders intensiv ausfiel, ist der Solistin Katrin Scholz und den Brandenburger Symphonikern unter der Leitung von Graham Jackson zu verdanken. Sie interpretierten Beethovens Spitzenwerk berückend eindringlich, transparent und zauberhaft zugleich.
Die in Kleinmachnow geborene Geigerin Katrin Scholz verfügt über einen überaus goldenen, warmen Ton, die vielen Triller geraten flüssig und funkelnd, die Kadenzen furios.
Dass die seit 1998 an der Bremischen Musikhochschule Lehrende ein stiller Star ist, stellt sie erneut unter Beweis. Beethovens Violinpart ist wie geschaffen dafür. Die Solostimme ist weniger durch thematische Arbeit und Virtuosität als von ausgedehnten koloristischen Passagen gekennzeichnet. Da singt die Geige versunken vor sich hin, umgarnt, mal von Weitem, mal aus der Nähe, scheinbar improvisierend das Orchester, ist ganz Spiel und Klang, ohne aufgesetzte Effekte. Sie scheint zu atmen und durch ihren Ton direkt ins Herz zu treffen.
Erst die extravaganten Kadenzen von Alfred Schnittke zeigen das, was bei Beethoven noch nicht vorkommt: klangliche Erweiterungen bis in höchste Register, radikale Gestik, expressive Eruption. Sehr raffiniert hat Schnittke seine vor bald vierzig Jahren entstandenen Kadenzen mit dem Urmotiv des Konzerts, den Paukenschlägen, verbunden. Dass gerade dieses rhythmische, ostinate Pochen aufgenommen und zum Finale der Geige übertragen wird, wirkt hochmodern und gibt Beethovens Violinkonzert einen überzeitlichen Anstrich. Begeisterter Beifall für ein wirklich wunderbares Konzert im Nikolaisaal. Babette Kaiserkern
Nächstes Konzert von Klassik am Sonntag am 22. Februar: „Aus Gorbatschows Heimat“.
Babette Kaiserkern D
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