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Eingesprungen. Die Pianistin Gülsin Onay nahm sich kurzfristig dem kniffligen Solopart von Brahms Klavierkonzert an.

© Aykut Uslutekin

Kultur: Mit herrischer Herrscherin

Das Brandenburgische Staatsorchester spielte Klangopulentes von Brahms und Elgar im Nikolaisaal

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Ein Albtraum für jeden Konzertveranstalter oder Intendanten, wenn der fest verpflichtete Künstler plötzlich absagt. Meistens aus gesundheitlichen Gründen. Dann geht die hektische Suche nach einem Ersatz los: Hat er das vorgesehene Werk im Repertoire oder kann er es sich schnell einstudieren und damit das vorgesehene Programm in letzter Minute retten? So geschehen im Vorfeld des 6. Sinfoniekonzerts im Nikolaisaal, das am Samstagabend trotz aller Malaise wie vorgesehen stattfinden konnte.

Es nötigt allen Respekt ab, dass sich die türkische Pianistin Gülsin Onay des anspruchsvollen und spieltechnisch überaus kniffligen Soloparts von Johannes Brahms’ 2. Klavierkonzert B-Dur kurzfristig annahm. Zwei Proben mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter Howard Griffiths mussten genügen, um sich künstlerisch abzusprechen und auf eine möglichst einheitliche Linie zu einigen. Was nur wenige wussten: Gülsin Onay, in paillettenbesetzter schwarzer Abendrobe auftretend und den Charme und die Herzlichkeit einer ausstrahlungsstarken Tastendiva verbreitend, hatte an diesem Abend mit einer Grippe zu kämpfen. Ein richtiges Arbeitspferd also, wie es im Künstlerjargon treffend heißt.

Zur Sicherheit legt sie sich die Klavierstimme ein wenig verschämt, aber blicknah auf den Rahmen des Steinway-Flügels, um des Konzertes Ineinander von sinfonischer Form und virtuosem Anspruch zwischen Soloinstrument und Orchester nicht in Gefahr zu bringen. Im innigen Dialog bringen Horn und Klavier die von lyrischer Empfindsamkeit und tänzerischem Schwung geprägten Themen des Eingangssatzes zu Gehör. Sie werden unentwegt variiert und entwickeln sich zu einem kontrastreichen sinfonischen Geschehen mit Klavierbegleitung. Kraftvollen längeren Solopassagen antwortet das Orchester leidenschaftlich erregt. Ihm wiederum antwortet das Klavier geradezu aufbrausend, dann wieder besänftigend. Ein ständiges Auf und Ab.

Selbstbewusst und energisch im Anschlag spielt Gülsin Onay ihre Repliken im steten Wechsel von lyrischen und leidenschaftlichen Empfindungen. Manches gerät dabei geradezu unwirsch und verbissen, klingt dann schroff und hart. Da hat es die Poesie schwer sich durchzusetzen, zumal ihr Tastatieren nur wenig Eleganz kennt. In ihrem Spiel ist sie herrische Herrscherin über das sinfonische Geschehen.

Der hell getönte Orchestersound verstärkt solche Eindrücke noch, und so verwandelt sich brahmssche Klangherbheit in Frankfurter Sprödigkeit. Zunehmend häufen sich intonatorische Unsauberkeiten im Orchester und so gelingt auch das Zusammenspiel mit der Pianistin nicht immer mit der erforderlichen Präzision. Dirigent Howard Griffiths ist sichtbar um den Zusammenhalt des Klangapparates bemüht, als dass er sich um eine tiefere Gestaltung kümmern könnte. Er hält ständigen Blickkontakt mit der Solistin, und lässt das Orchester meist im Forte spielen.

Herrlich unsentimental, dennoch gefühlsinnig streicht Thomas Georgi die Cello-Kantilene zu Beginn und Ende des liedhaften Andante-Satzes. Und in diesem dritten Satz haben sich endlich alle Beteiligten auf eine einheitliche Linie geeinigt, hat die Poesie einen kleinen Rastplatz fürs leise und zärtliche Nachsinnen gefunden. Das ungarisch getönte Finalrondo verströmt endlich jene gelöste Heiterkeit, die man sich Sätze zuvor gewünscht hätte. Dem stürmischen Applaus dankt Gülsin Onay mit dem geradezu hämmernden, an Liszt oder Bartok gemahnenden Prelud Nr. 12 ihres Lehrers Adnan Saygun, der, man ahnt es, einer von Bartoks Schülern war.

Nach der Pause klingt das Orchester wie verwandelt, als es die klangopulenten und hinreißend witzigen „Enigma“-Variationen“ op. 36 von Sir Edward Elgar spielt. Wie kann sich ein angeblich nicht notiertes und daher ungespieltes musikalisches Thema dennoch durch ein Werk ziehen? Dies nur eine der ungelösten Fragen, die diese vierzehn Variationen, einer Laune des Komponisten entsprungen, aufwerfen. Dagegen sind die Rätsel um Kürzel wie H.D.S.P., R.B.T. oder B.G.N., mit denen einzelne Nummern versehen sind, längst gelöst.

Und ebenso musizieren die Musiker die Charakterporträts jener Menschen, die zu Sir Edwards Freundeskreis gehörten. Es geht differenziert zu, die Musik kann atmen, schwelgen und funkeln – des Hörentzückens scheint kein Ende. Ob Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker: Alle dürfen sich der feinzeichnenden Notenfeder des Meisters erfreuen. Sogar die frohe „Wuff“-Nachricht eines ins Wasser gefallenen Hundes findet sich darunter. Mit einer lärmenden Apotheose endet das Werk, dessen Wiedergabe anhaltend gefeiert wird.

Peter Buske

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