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Kultur: Mit hoher Taktzahl

Giuliano Carmignola im Nikolaisaal

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Natürlich ist es beeindruckend einen Ferrari zu fahren, doch das sagt noch gar nichts über den Fahrstil seines Besitzers aus. In der Musik gilt dies noch weit mehr. Selbst das teuerste Instrument braucht einen guten Musiker, um es zum Klingen zu bringen. Umgekehrt kann man sogar auf schlichten Instrumenten die schönsten Melodien hören. Dass der italienische Geiger Giuliano Carmignola bei seinem Auftritt mit der Kammerakademie Potsdam am Samstag auf einer Stradivari spielte, erweckte die Neugier gleich doppelt. Schließlich war man mit ihm auf die „Suche nach der Klangsprache des 18. Jahrhunderts“ gegangen, wie Peter Rainer von der Kammerakademie dem Publikum im gut gefüllten Nikolaisaal berichtete. Und man hatte dabei entdeckt, wie lebendig diese Musik sein könne.

Als Solist, Konzertmeister und Dirigent ließ Giuliano Carmignola kein einziges Stück aus und badete den kammerakademischen Klang in italienischem Aroma. Erstaunt fragte sich der Hörer gelegentlich, ob die beiden Violinkonzerte G-Dur und C-Dur wirklich von Josef Haydn komponiert wurden. Viel eher klang die Musik nach Vivaldi oder Tartini, nicht nur im Gesamtklang, sondern vor allem bei den virtuos-brillanten Solopassagen, die mitunter an Paganinische Teufelsritte erinnerten.

Das verwunderte nicht ganz, denn einst hat Giuliano Carmignola einst einen Preis beim Paganini-Wettbewerb gewonnen und mehrere Violinkonzerte von Vivaldi eingespielt. Doch auch wenn Haydn diese Violinkonzerte für einen italienischen Geigenvirtuosen komponierte, ist fraglich, ob der Vortragsstil dermaßen artifiziell sein muss. Mit hoher Taktzahl lässt Giuliano Carmignola von Anfang an den Motor aufbrausen, prescht atemberaubend durch Kurven und Kadenzen, führt waghalsige Manöver vor und lässt sein Instrument blitzen im Licht der Begleitmusik. Sicher folgen diese Konzerte noch barocken fortschreitenden Schemata, doch bisweilen ersetzen Brillanz und schöner Schein zu sehr die strukturelle Durchformung einzelner Sätze.

Mit der Romanze F-Dur op. 50 von Ludwig van Beethoven folgte ein Stück, dass nicht nur berühmt, sondern im erklärten Zusammenhang der Musiksprache des 18. Jahrhunderts ebenso ungewöhnlich war. Denn hier erweist sich Beethoven einmal mehr als Romantiker, dem der „Ausdruck der Empfindung“ weit über Tonmalerei und musikalische Rhetorik geht. Leider wurden diese Möglichkeiten verschenkt. Solist und Kammerakademie konnten keine gemeinsame Gestalt entwickeln, die Interpretation schwankte irgendwo zwischen bravem Vorspiel, süßem Schmuse- und aufbrausendem Schmollstündchen.

Doch zum Glück gab es noch die Symphonie Nr. 53 D-Dur von Josef Haydn, ein Werk aus der mittleren Periode, wo aber die volle Meisterschaft des Begründers der Symphonie schon zum Tragen kommt. Hier war die Kammerakademie ganz bei sich angekommen und produzierte eine mitreißende Interpretation voll homogen-gesanglichen Klangbildern, mit zartester Tonreinheit. Wie schwungvolle Sprünge auf einem Trampolin in Slow Motion erscheinen die Auf- und Abschwünge im Andante, als ein heiterer Reigentanz das Menuett, zu dem sich ein zauberhaftes Trio mit Flöte und Violine gesellt.

Ganz Spannung und nervösen Aufruhr verströmen die wohlkontrollierten Klangstrudel im Capriccio-Finale, mit prägnant modellierten harmonischen Wechseln und spritziger Rhythmik. Ebenso markante wie sanft verklingende Paukenschläge beenden diese gelungene Aufführung, für die es viel Beifall und Bravorufe gab. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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