Kultur: Mit innigstem Grimm
Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ auf dem Theaterschiff
Stand:
Sieben Leute auf knappsten Raum wollen die Hochzeit des Brautpaares feiern. Schiefe Wände, wenige Möbel, ein langer Tisch, kaum Platz, daran vorbeizukommen, Enge überall. Die Stadtspieltruppe lud am Sonnabend zur Premiere von Brechts „Kleinbürgerhochzeit“, ein Einakter von fünfundzwanzig Seiten, der in seinem Entstehungsjahr 1919 noch „Die Hochzeit“ hieß. Genial, befand man im Theaterschiff, da ist was zu machen, denn Brecht vernichtet die Scheinwelt dieser „Kleinbürger“ ganz gnadenlos im Sein der Gegenwart, und der wollten die jungen Leute nun gehörig Beine machen. Stuhlbeine, Tischbeine, Couch-Beine spielen in dieser Farce der Namenlosen ja eine wahrlich tragende Rolle. Fünf Monate hatte der ehrgeizige Bräutigam (Simon Zetzsche) gerackert, um alles Mobiliar zu diesem Anlass selber zu entwerfen und zu bauen, sogar der Leim ist sein Produkt. Ein Werk seines Stolzes, doch ach, während seine Mama, ganz professionell von Bob Schäfer gegeben, das seltsame Mahl durch die Enge des Raumes auftischt, bröckelt, was da bröckeln muss – Tisch und Stühle, Sofa und Schrank, Höflichkeit und Wohlgefallen. Am Ende sind alle entzweit, die Gäste mit Bosheit gegangen, der Raum ein Schlachtfeld, wer da an die zerstörerische Ästhetik von Heiner Müller denkt, ist wirklich kein Schalk.
Sebastian Bandt führte Regie, Constanze Jungnickel assistierte. Ein überlanger Introitus mit Liedern (am Klavier der bewährte Christian Kozik) aus dem Brevier des jungen Brecht, als er noch kein „Sohn seiner Klasse“ war, sondern nur ein Aufmüpf. Rebellion ist immer Sache der Jungen. Einzug der Gladiatoren, jeder mit eigenem Profil, „die Frau“ (Julia Zimmermann, loses Mundwerk, sehr schrille Stimme) treibt alle mit ihrer Wahrheit zur Weißglut. Sie weiß, dass in diesem Hause nichts trägt: der Anklageteufel in Gestalt eines Weibes. Ihr leicht versoffener Gatte (Rüdiger Braun), eine der wenigen psychologisch geführten Figuren, hatte vorerst nichts zu sagen. Ganz souverän auch Mathias Iffert als Vater der heimlich schwangeren Braut, ein guter Sänger wie Spieler. Im Drang, diesem skurrilsten Panoptikum gute Unterhaltung zu schaffen, erzählte er die peinlichsten Geschichten. Gut angelegt Diana Wintrich als Braut und Mittlerin dieses Abends, indes ihr Gatte, ein Stier und Schäumer, kaum Chancen hat, seine Figur zu formen, sie ist zu früh „fertig“. Freund (Mario Neubert) gibt den Zyniker in Crescendo. Bleiben die Nebenfiguren im Flirt: Wolf Hinze (angenehm als der junge Mann) und Karen Schneeweiß, Mauerblümchen und zu stille Schwester der Beschleierten.
Die äußeren Stationen dieser destruktiven Inszenierung sind mit Sorgfalt gearbeitet, es knirscht und birst tatsächlich an allen Ecken. Gnadenlos führt die Regie die Mär ans Ende, Feiern um jeden Preis, Verkleistern (Leim!) der wahren Verhältnisse, auch Infragestellen der Ehe als „Institution“, was man jungen Leuten kaum verübeln kann. Spielte man diesmal Längsschiff, so war die Hauptbühne für groteske Tänze reserviert, wie man sie heute in Diskos findet. Die schönste Szene im Spiel ist der Ehestreit vor dem Finale, bei dem die Mutter, verzweifelt eine Tischecke haltend, wider Willen anwesend sein muss. Wer aber sind nun „die Kleinbürger“? Doch immer „die anderen“.
Diese Inszenierung hat viele Kanten und Schwächen. Früh wird das beste Pulver verschossen, manches wirkt fahrig oder grob, doch Kraft ist darinnen. Hier wird Gesellschaftskritik nicht nur „geübt“, hier wird abgerechnet mit dieser Farce, die alle und alles umschlingt, und das mit innigstem Grimm! Ist das Brautpaar zuletzt auch beim Lieben auf dem zerborstenen Tische im kleinsten gemeinsamen Vielfachen wieder versöhnt, so nicht ohne Nachspiel: Mit „Ihr, lasst euch nicht verführen, es gibt keine Wiederkehr“ wird der Sack zugemacht: Diesseitig, unwiderruflich, hoffnungslos. Gerold Paul
Wieder am 24. Mai, 20 Uhr.
Gerold Paul
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