Kultur: Mit Intensität
Songs und Lautenmusik am Samstag im Tanzsaal des Babelsberger Schlosses
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Liebe hat viele Gesichter. Sie ist der angenehmste Zustand teilweiser Unzurechnungsfähigkeit, kann den Himmel auf Erden holen und gleichzeitig Hölle sein. Sie kann sehend und blind zugleich machen, sprachlos und redegewandt, unglücklich oder gar verrückt. Und, wie schon Friedrich Nietzsche erkannte: es ist immer etwa Wahnsinn in der Liebe. Davon singen die „Mad Songs“ des 17. Jahrhunderts ein bewegend Lied, mit denen die Sängerin Evelyn Tubb und der Lautenist Anthony Rooley bei ihrem ausverkauften Musikfestspiele-Auftritt im Tanzsaal des Babelsberger Schlosses auf die überraschendste und staunenswerteste Weise bekannt machten. Das war kein Liederabend der herkömmlichen Art, sondern ein facettenreiches, nahtlos ineinander gefügtes Psychodrama über die Irrungen und Wirrungen schier unerschöpflicher Lebens- und Liebeszustände.
Die Betrachtungen beginnen mit Desdemonas eindringlich deklamiertem Monolog „All“s one“ aus Shakespeares „Othello“, dem sich das von Tommaso Giordani (1733-1806) schlicht vertonte „Lied von der Weide“ anschließt. Bereits hier offenbart die Sängerin ihren enormen Stimmumfang, der in den Höhen leuchtet, in den Tiefen seelische Abgründe aufreißt. Die Grenzen von Sprechen, Singen und Sprechgesang in den ausdrucksvollen Liedern von Henry und Daniel Purcell, John Eccles (1668-1735), John Dowland (1563-1626) und William Hayes (1708-1777) sind aufgehoben: das eine geht wie selbstverständlich in das andere über.
Evelyn Tubb kultiviert das Intime, umhüllt es mit einem leichten Wahnsinnstouch. Sie seziert Verrücktheit, liefert beklemmende Seelenstudien ihrer Liedgestalten zwischen Naivität, debilem Staunen und den Halluzinationen eines gleichsam im Kerker dahindämmernden Goetheschen „Faust“-Gretchens. Dabei verfügt die Sängerin über eine erstaunliche Fülle von Stimmfarben. Sie spielt, was sie singt und das mit mimischer und gestischer Intensität sondergleichen: die Naive und Liebesverrückte, die Melancholikerin, die Todeskandidatin. Hemmungslos schreit sie Liebesschmerz heraus, um sich danach sogleich in die Introvertiertheit einer Verlassenen zu retten. Ihre grandiose sing-spielende Präsenz kennt keinerlei Grenzen: sie sucht Halt an Säulen, umkreist das Publikum, dabei jegliche Distanz zu ihm aufhebend. Sie lässt sich wie zufällig ein Buch reichen, woraus sie singend „vorliest“. Ein Tuch um die Schultern genügt ihr, um in eine andere Figur zu schlüpfen.
Die instrumentalen Überleitungen dieses theatralischen Liederabends gleichen perfekten Notennähten. Doch Anthony Rooley weiß auch stimmungsmalend, dezent, aber eindringlich zu begleiten. Riesenbeifall, doch nur eine Zugabe. So und nicht anders möchte man künftig Liederabende erleben! Peter Buske
Peter Buske
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