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Kultur: Mit Kitsch und zwei Flaschen Wein

Der Australier Scott Matthew im Waschhaus

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Es gibt Lieder, die erst dann zu funkelnden Songperlen werden, wenn sich ihrer ein Interpret annimmt, der sie ernst nimmt und ihnen eine Seele einhaucht, die sie vorher nicht hatten oder die ihnen durch allzu häufiges Abspielen abhanden kam. Der Australier Scott Matthew ist mit amerikanischer Popmusik aufgewachsen, die so sehr aus dem Mainstream kommt, dass sie bar jeglichen Widerstands- oder Berührungspotential scheint. Allenfalls Teenager mit gebrochenem Herzen, andauernder Identitätssuche und unbedingtem Bekenntniswillen nehmen so etwas ernst.

Einige bergen diese Songs wie lebenserhaltende Mantras im Herzen, um sie in einsamen Stunden aus den hinteren Ecken des Plattenschrankes hervorzuholen. Scott Matthew macht das in aller Öffentlichkeit und präsentierte im Rahmen einer kleinen feinen Clubtour seine persönliche Hitparade von Herz-Schmerz- Liedern. Wer glaubte, vor Kitsch gefeit zu sein, ging gleich bei dem ersten Lied in die Knie, um nur noch des Seufzens fähig zu sein. Mit hauchender Stimme entschlackte der schlaksige Bartträger den Bee-Gees-Klassiker „To love somebody“ von jeglichem Bombast und flehte „If I ain’t have you“. Im ausverkauften Dachgeschoss des Waschhauses hielt das Publikum den Atem an, ließ den letzten Ton sekundenlang verhallen, um erst dann zum Applaus anzusetzten.

Dieser Effekt stellte sich nach allen Liedern ein, die Scott Matthew am Freitagabend zusammen mit Jürgen Stark in Potsdam vorstellte. Drei Gitarren, eine Ukulele, Mundharmonika und zwei Flaschen Wein waren die Ausrüstung für das Wunschkonzert, das weder vor den Sex Pistols noch vor Whitney Houston halt machte, dabei aber auf Nominierungen verzichtete. Denn jedes der Lieder, die Matthew darbot, ist ein Lieblingslied, wenn auch aus mitunter sehr verschiedenen Gründen. Mit selbstironischem Lächeln erzählte der Wahl-New-Yorker von seiner Verehrung für Morrissey und Roberta Flack und wie ungemein wichtig John Denver für sein Erwachsenwerden gewesen sei. Und überhaupt sei John Denver richtig cool.

Nein, ist er nicht! Allenfalls, wenn Scott Matthew „Annie’s Song“ zelebriert und inständig bittet: „Pleace, let me love you“. John Denver hätte sich nie über die eigene Inbrunst amüsiert, die Lust am Pathos niemals so ironisiert. Es wird viel gelacht, gejubelt und auch mitgesungen in dieser Winternacht. Manchmal falle es ihm schwer, ernsthaft zu bleiben, gesteht der fröhliche Sänger, bevor er Charlie Chaplins „Smile“ anstimmt. Wie die Stummfilmstars mit Slapstick die Tragödien des Lebens darstellten und die Leute zum Lachen brachten, sagt Matthew von sich: „Ich bin ein sehr glücklicher Mann, der sehr traurige Lieder singt“. Ein einziges, „To be the only one“, stammte an diesem Abend von ihm selbst.

Ohne die Plattensammlung seiner Eltern wäre Matthew wohl nicht der geworden, der er heute ist. Umso enthusiastischer war deshalb der Applaus, als der Sohn bei den Zugaben seinen Vater vorstellt und ihn aus dem Publikum auf die Bühne bittet, um mit ihm zusammen „Help me make it through the night“ von Kris Kristofferson zu interpretieren. Da war er wieder, der Moment, in dem ein Lied zu funkeln beginnt, weil es mit begeistertem Enthusiasmus wiederbelebt wird. So gesehen war es ein Abend voller Sternschnuppen. Lene Zade

Lene Zade

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