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Kultur: Mit Pfiff

Profi-Künstler ehrenhalber: Die Potsdamer Chansonwerkstatt begeisterte im Kabarett Obelisk

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Es ist schon ein bisschen traurig, wenn man zum Geburtstag lädt und die meisten Gäste bleiben aus. Knapp zwanzig waren zum dreijährigen Bestehen der Potsdamer Chanson-Werkstatt gekommen, das füllt den Zuschauerraum im Obelisk noch lange nicht. Spielten die fünf beherzten Interpreten oben trotzdem mit so viel Können und Feuer, als wären die Plätze unten doppelt besetzt, so bewirkte die mehr als freundliche Publikumsresonanz letztendlich den beinahe rauschhaften Erfolg dieses phantastischen Jubiläumsauftritts. Er wurde von zwei langen Zugaben gekrönt. Vom Status her gilt die Truppe als „semiprofessionell“, jeder hat eine Bühnenausbildung, alle gehen auch einem ordentlichen Beruf nach. Aber die genannten und bis zum Ende durchgehaltenen Tugenden machen Jan Lehmann (Piano und heimlicher Kopf der Truppe), Christiane Günther, Silvana Uhlrich, Sylvia Nitzsche und Michael Adam zu Profi-Künstlern ehrenhalber.

Unter dem Titel „Gegensätze ziehen sich aus“ gaben sie über zwei gute Stunden einen Querschnitt aus etwa drei Jahren Studiotätigkeit. Nur Kracher, Schenkelklopfer, Tränenwischer und Kopfschüttler? Das „Studio“ hält es wohl eher mit den leiseren Tönen. „Chanson, Schlager, Cabaret“ aus den Höhen und Tiefen des vergangenen Jahrhunderts sind für die Fünf zuerst eine Sache des Geistes. Kein Titel, der nicht genau durchdacht und auf den Punkt gebracht worden wäre. Ein jeder lebte sein eigenes Leben. Von den Mitteln her war es szenischer Minimalismus vom Feinsten, kleine Gesten, oft nur angedeutete Mimik genügten in den meisten Fällen, einem Titel zur Durchschlagskraft zu verhelfen.

Dazu kommt ein Ensemblegeist, den man anderen nur wünschen kann: Meist hatte man Soli oder Duette vor Augen und Ohren, aber die anderen Darsteller waren, ob sichtbar oder nicht, eigentlich immer präsent. Noch mehr Lob? Ehrensache.

Ob „Ich habe Angst vor meiner Frau“, „Er ist ein Mann, und das genügt!“, „Lege deine Wange doch an meine Wange“, „Tigerfest im Garten“ oder „Wie ungerecht!“, darin Christiane Günther ihre unglückliche Liebe zu einem besingt, der sie täglich auf der Bühne zersägt, alles hatte Pfiff, Präzision, hohen Schau- und Unterhaltungswert. Man staunte immer wieder, wie geschickt musikalische und szenische Arrangements miteinander verschmolzen, wie Soli in schöne Duette und in noch größere, perfekt gegebene Einheiten übergingen.

Zu den Meisterstücken dieses rasant gespielten Abends zählte ein kleines Brecht-Medley, bei dem Silvia Nitzsche sang, während das Ensemble ein ästhetisches „Standbild“ abgab, und auch die titelgebende Nummer „Ich bin ein Barbie-Girl“. Das selbstverfasste „Schnepfental“ gehört wohl zum Intelligentesten, was der deutsche Ost-West-Konflikt zur Wiedervereinigung satirisch hervorbrachte. Nicht zu vergessen der stets lakonische Unterton, die eleganten Überleitungen, die Bescheidenheit nach dem Ausstieg aus einer Rolle. Da war nie Kapriziöses.

Solange man seiner natürlichen Stimmlage vertraute, blieben auch die gesanglichen Leistungen gut, wo man fremde Tonhöhen bemühte, weniger. Letztlich aber zählt der Geist dieses Abends, so lebhaft und überzeugend, dass es beim Finale stehende Ovationen gab. Sie wurden dankbaren Blickes entgegengenommen. Gerold Paul

Nächste Vorstellungen heute, am 24. und 31. Juli im Obelisk, 19.30 Uhr.

Gerold Paul

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