Kultur: Mit Seele
A capella Sextett Sjaella in der Nikolaikirche
Stand:
Als sie noch sehr jung waren, nannten sich Felicitas und Helene Erben, Franziska Eberhardt, Marie Charlotte Seidel, Marie Fenske und Viola Blache als Ensemble einfach Chickpeas, zu deutsch Kichererbsen. Später wurde Sjaella daraus, ein dem Schwedischen entlehntes Kunstwort für Seele. Das klang zwar nicht mehr ganz so lustig, passte aber besser zu den Heranwachsenden, denn ohne Seele geht ja nichts in der Welt, am wenigsten bei der Musik. Am Freitag gab das hoch begnadete A capella Sextett in der Nikolaikirche ein abendfüllendes Konzert mit einem geistlichen und einem weltlichen Teil. Strukturell hatte man es mit zwei Sopranen, zwei Mezzos und zwei unterschiedlichen Alt-Stimmen zu tun, mit denen sich auch für Männer geschriebene Parts, etwa das altfranzösische „Il est bel et bon“ von Pierre Passereau aus dem 16. Jahrhundert, darstellen lässt. Sjaella sind in allen Bereichen ein Faszinosum, nicht nur in der perfekten Beherrschung aller technischen Standards. Die jungen Damen wissen sich auf der Bühne mit Ausstrahlung und Selbstbewusstsein zu bewegen, sind allesamt bekennende Leipzigerinnen, haben ein großes Herz für die moderne Musik, vor allem aber Stimmen, die vom Himmel kommen könnten, rein und klar, kantabel bis in die höchsten Töne, unisono wie polyphon stets hochprofessionell, und also immer nach der letzten Schönheit suchend – nach der Seele, mit der Seele.
Der geistliche Teil verzichtete auf althergekommene Literatur, alle Kompositionen stammten aus dem vergangenen Jahrhundert. So begann man mit einem lateinisch gesungenen „Salve Regina“, welches der 1949 geborene Javier Busto nach Art der Gregorianik zu Papier gebracht hatte, sehr zart, sehr sanft, ein außergewöhnlich reines Klangbild. Es zahlt sich aus, wenn man fast zehn Jahre in dergleichen Besetzung singt. Eine gewisse Vorliebe für nordische Komponisten war an diesem Abend unüberhörbar, so mit Knut Nystedts „Hosanna“ oder bei „O Salutaris Hostia“ des Letten Eriks Esenvalds mit einem mehrstimmigen Duett vorn, mit Koloratur höherer Stimmlage im Hintergrund und recht langsamer Gangart. Randall Thompsons „Alleluia“ sang man mit innigem Glauben und Blick zum Altar. Beifall nach jedem Stück.
Mit John Dowlands „Come away, come sweet love“ eröffneten Sjaella den zweiten Teil. „Molly Ban“ erzählte, wie ein Liebender bei der Jagd statt eines Schwans die Geliebte erlegt. Das Ensemble sang diese irische Weise im Hauptgang der Kirche, sehr verhalten die Melodiestimmen, effektvoll der Kontra-Alt von Helene Erben. Sjaella arbeitet gern mit Arrangeuren zusammen, besonders, wenn sie aus Leipzig kommen. So hat Susanne Blache „Grüß Gott, du schöner Maien“ und „Blackbird“ von den Beatles, Ekkehard Meister „Valparaiso“ von Sting und Simon Wawer Cesar Bresgens „Oh du stille Zeit“ nach Joseph von Eichendorff überarbeitet. Vielleicht wäre das nicht immer nötig gewesen, denn einige dieser Arrangements wirkten sehr brav, sehr gleichförmig. André Gorjatschows Fassung von Steve Wonders „I just called to say I love you“ war sogar, mit Verlaub, ausgesprochen dröge. Überhaupt zeigte sich dieses Konzert fast nur mit gebremstem Temperament. Wer so vielseitig ist und so viel vermag wie Sjaella, sollte doch auch mal Gas geben können, sogar bei moderner Kirchenmusik. Reinheit und Schönheit des Klangs, überhaupt technische Perfektion, sind das eine, die Wahrheit des Lebens aber ist doch meist anders. Die Seele dankt nicht dem Tod, leben will sie, auf ihre Art, in ihrer Zeit. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: