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Gelungenes Zusammenspiel. Susanne Bormann und Sebastian Dreyer.

©  mth

Kultur: Mit „Siddhartha“ im Rosengarten Klangvolle Lesung

aus Hesses Erzählung

Stand:

Innen oder außen – was ist die Welt? Schon ratsam, mal zu überlegen, warum heute die Antworten so gravierend anders sind als zum Beispiel im fünften vorchristlichen Jahrhundert, wo die Originalfassung der altindischen Erzählung von Siddhartha entstand, jenem schönen Brahmanensohn, der tief im Wald und einsam die berühmte Erleuchtung nicht fand. Deshalb stürzte sich der Klausner zurück ins pralle Menschenleben, bat die Hetäre Kamala um Hilfe und Rat, stieg dergestalt zu einem reichen und wohlangesehenen Bürger auf, bis ihn die Hybris packte und ihn an seine Suche nach Atman erinnerte, welcher als Alleiner in jedem wohnt. Anders als sein Freund und Begleiter Govinda erreicht er dieses Ziel zuletzt mit der tiefen Erkenntnis, dass jeder Weg und Umweg, jeder moralische Absturz für dieses Hiersein absolut notwendig war. Geld und Gut erwiesen sich dabei stets als hinderlich, um das Ich in sich zu besiegen. Was Siddhartha aber konnte, das half ihm immer: Denken, Dichten, Warten, Fasten, die besten Werte im Menschen. Und so zeigt er Govinda am Schluss ein großes Mysterium: In einer raschen Folge von Bildern sieht er, was Siddhartha in früheren Leben alles gewesen ist, mal Tier, mal Frau, mal Henker, mal Schurke, mal ein Galan. Nichts ist jemals wirklich gestorben und alles ist eines.

Solche und noch ganz andere Weisheiten hat auch Hermann Hesse in seine mehr als hundertseitige „Siddhartha“-Erzählung von 1922 hineingeschrieben. Dass sie am Samstag in Hof und Garten der Familie Barbara Welk-Nies und Günter Nies zu Eiche hör- und erlebbar wurde, ist der Schauspielerin Susanne Bormann zu danken, Spross jener Renate Bormann, die „Im Garten vorgelesen“ einst in Potsdams Urania pflanzte. Anfangs war man skeptisch, ob ein so meditativ-esoterischer Text passe, der starke Applaus eines spürbar bewegten Publikums belehrte die Zweifelnden schnell eines Besseren. Rationalität ist eben nicht alles in der Welt, so steht es ja schon im „Siddhartha“, und einen „inneren Atman" hat schließlich jeder.

Eine dichte, durchweg überzeugende und außerordentlich schöne Lesung! Susanne Bormann hatte zwar mit starken Fremdgeräuschen zu kämpfen, aber mit diesem Hesse steht man das durch. Ihr zur Seite Sebastian Dreyer mit seiner Sitar, ein Instrument der Zeitlosigkeit, der Meditation, des lyrischen Rufens und Hörens, toll! Und natürlich der aufsteigende Garten hinter dem Hofgeviert, wie in den letzten Jahren schon eine Pracht, auch wenn diesmal das eine oder andere Röslein vielleicht nicht blühen will. Schönheit und Fruchtbarkeit wohnen hier gerne, sogar bei bestem Lesewetter!

Hesses Meistererzählung, aus buddhistischen und brahmanischen Anteilen zusammengesetzt, gleicht einem weise flutenden Dauerimpuls ins Innere hinein. So stark ist sie, dass sie die Seele zu berühren versteht, und diese wiederum erkennt sich in Siddhartha und Hesse. Was gäbe es auch Wichtigeres, als dem eigenen Hiersein nachzugehen, sich über das Lebensgeschick Klarheit zu schaffen. Erst denkend erkennt man, wie wenig man zur Zufriedenheit braucht, dass man freundlich sein kann mit anderen, dass Zorn und Liebe in Feindschaft liegen und Reichtum die Geißel der Reichen ist. Dass jede Begegnung im Leben erforscht sein will und einem alles nützt, auch die schrecklichste Erfahrung. Keiner Lehre, keinem Lehrer zu folgen als dem in sich. Dass man nichts und niemanden auf der Welt verachten darf und die Menschen wie Kinder sind, zu sehr den irdischen Gütern verfallen. Hesse lässt selbst Hartgesottene die Seele wieder spüren! Ob nun Klausner oder nicht, es gab bei dieser brillanten Veranstaltung nur Gewinner, denn jeder hat den kraftvoll-milden Zauber dieser Dichtung gespürt: innen – wo sonst! Gerold Paul

Gerold Paul

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