Kultur: Mit viel Gebrüll
Haudegens zweifelhaftes Konzert im Lindenpark
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Sie stehen für Freiheit, Kampf, Muckibudenschweiß und Motorrad-Brummbrumm und proklamieren für sich, die „Letzten ihrer Art“ zu sein: Hagen Stoll und Sven Gillert von der Berliner Prollband Haudegen – Gott sei Dank, möchte man seufzend feststellen. Aber dass so viel Opium fürs Volk trotzdem magnetisch wirken kann, ließ sich am Dienstag im Lindenpark feststellen – gut, wenn man mit ausreichend Humor gesegnet war, um dieses peinliche Spektakel zu überstehen.
Einer der zwei zutätowierten Frontmänner ist der mittlerweile völlig weichgespülte Hagen Stoll, der ewige Marzahn-Verherrlicher und als „Joe Rilla“ gebrandmarkt mit dem Image des Ostberliner Hooligans, der sich lange Zeit mit grimmiger Fratze dem Bad-Boy-Image hingab. War der harte Hund doch wenigstens authentisch, ist die ewige Leier vom grenzenlosen Leid im Kampf gegen „das System, das dich in die Knie zwingen will“ nicht nur peinlich, sondern geradezu gefährlich: Das merkte man schon, als am Eingang des Lindenparks der Dresscode gut lesbar ausgehangen war: bitte kein Kleidungsstück von Thor Steinar oder Ultima Thule, auch Motorradklubs und deren Supporter seien unerwünscht. Da ahnte wohl schon jemand, in welchem Sumpf sich das Zielpublikum herumtrieb.
Dabei waren Haudegen doch ganz lieb, was das Gekreische des weiblichen Publikums noch unterstrich, als zum „richtig schönen Knutschen“ aufgerufen wurde. Kaum zu glauben, dass die beiden Türsteherkopien mit derartiger Romantik ausgerüstet waren. Garniert wurde das jammerlappige Event mit zwei gigantischen Schwertern auf der Bühne. Offenbar wurden in einer Herr-der-Ringe-Romantik diese Accessoires mit Degen verwechselt, vielleicht auch nur mit den Rasierklingen, welche die Herren in ihrer Achselhöhle trugen. Das dynamische Duo spielte sich in den Vordergrund: Singen konnte aber keiner der beiden. So wurden konservative Familienstrukturen gepredigt, gewickelt in seichte Moll-Gewänder: Von zu Hause war die Rede, Großeltern, ganz viel Liebe. „Potsdam! Man darf noch Träume haben!“ Was für ein Albtraum.
Dieser seltsame Cocktail aus Heimatduselei, Schlagern und Neue-Härte-Romantik zündete jedoch beim zahlreichen Publikum. Zwangsläufig fragte man sich, ob man irgendetwas übersehen hatte, aber der Sinn des Spektakels ließ sich einfach nicht erschließen. Beispiel gefällig? Den Song „König im Schlaraffenland“ kündigte Gillert an als „Land, wo die Broilerkeulen in den Bäumen wachsen, die Berge weiblichen Rundungen ähneln und Bäche von Jack-Daniels-Cola fließen“. Das meinen die auch noch ernst!
Nun ja, solange Haudegen noch darüber singen können, wie sich Leben anfühlt, scheint der Anabolikapanzer noch nicht ausgewachsen genug zu sein. Definitiv kann man mit ganz viel gutem Willen noch unfreiwillige Komik attestieren: Als Haudegen im Publikum nach Großeltern fragten, und sich sogar einige meldeten, brachten sie tatsächlich einen Song mit dem Text „Großvater sprach: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“. Spätestens da kam man sich verloren vor; als einziger Lachender in einem Heer von Begeisterten. Oliver Dietrich
Oliver Dietrich
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