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Blickscharf. Der Schriftsteller Martin Walser.

©  Jens Schlueter/dapd

Kultur: Mit viel Witz und Esprit Martin Walser las im Foyer des Nikolaisaals

Man ist zusammengerückt, es hat den Anschein einer Talkshow, als Martin Walser, einer der großen deutschen Autoren, am Freitagabend vor nur gut 120 Gästen auf einer kleinen Bühne im Foyer des Nikolaisaals sitzt. Im wohl gewählten Plauderton, das Weinglas in der Hand, antwortet der 85-Jährige mit viel Witz und Esprit auf die Fragen des Moderators Thomas Schmid.

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Man ist zusammengerückt, es hat den Anschein einer Talkshow, als Martin Walser, einer der großen deutschen Autoren, am Freitagabend vor nur gut 120 Gästen auf einer kleinen Bühne im Foyer des Nikolaisaals sitzt. Im wohl gewählten Plauderton, das Weinglas in der Hand, antwortet der 85-Jährige mit viel Witz und Esprit auf die Fragen des Moderators Thomas Schmid. Klar und freundlich blickt er unter weißen Augenbrauenbüschen hervor auf sein Publikum, das an seinen Lippen hängt und seine Sätze oft mit Gelächter oder Spontanapplaus quittiert.

Zuvor hat Walser gezeigt, welch glänzender Vorleser er ist. Betonungsstark, mit kräftiger Stimme und Theaterfingergesten hat er einzelne Passagen aus „Meine Lebensreisen“ (Corso Verlag, 24,90 Euro) präsentiert. Es sind die ausgewählten, bis in die 1950er Jahre zurückreichenden und größtenteils bereits mit seinen Tagebüchern veröffentlichten Reisenotizen eines Mannes, dem man aufgrund seiner engen Verbundenheit mit der Bodenseeregion gern das Etikett „Heimatschriftsteller“ aufgeklebt hat, der jedoch tatsächlich so viel gereist ist, wie sonst wohl nur wenige Schriftsteller.

Ihm tue es sogar jedes Mal weh, nirgends länger bleiben zu können, sagt Walser, doch gehöre dieser schmerzliche Preis eben zum Reisen dazu. Nur spärlich aber hat der zunächst als Redakteur und später häufig als Gastdozent Herumreisende in seinen Aufzeichnungen Landschaften oder Bauwerke beschrieben. Vielmehr sind es die flüchtigen Augenblicke, in denen er blickscharf die Menschen beobachtet und mit einer oft ans Komische grenzenden Präzision festgehalten hat, ohne diese überaus kurzweiligen Textbilder dann zu bewerten. „Ich bin kein urteilender Reisender“, sagt Walser.

Seien es die Schlüpfrigkeiten, 1963 in einem englischen Fußballstadion, das wilde Tanztohuwabohu auf einem Bankett in Georgien, die grotesk-antiquierten Zeremonien auf dem Moskauer Schriftstellerkongress 1971 oder sechs Jahre später die schier endlosen Abschiedsgesten japanischer Germanisten – stets waren es solche Momente, die Walser beeindruckten, die er frisch einfing, Geschenke, ohne die er zu keinem Satz gekommen wäre, wie er anmerkt. Auch im letzten, dem einzigen erstveröffentlichten Kapitel seiner „Lebensreisen“, über einen Besuch der Leipziger Buchmesse im März 1981, fehlt dem Autor nicht der Blick für das alltäglich Absurde. Gleichzeitig staunt er über die „DDR-Gemütlichkeit“ und die „Abwesenheit von Schick, Dressur und Schau“. Dass mit dem Ende des SED-Staats jedoch etwas verloren gegangen sei, glaubt Walser, der schon früh gegen die deutsche Teilung eingetreten ist, jedoch kaum. „Aus der DDR herauszufahren war, als hättest du einen Kranken im Krankenhaus besucht und bist froh, wieder draußen zu sein.“ Die Wiedervereinigung bezeichnet er deshalb auch als den größten Augenblick der deutschen Geschichte, an den er beruhigt zurückdenken wolle, sollte ihn eines Tages mal ein vor nichts haltmachender Pessimismus überfallen.

Am Ende entpuppt sich die Lesung im Foyer als Highlight und offenbar auch als ein Abend für Walser-Fans. Denn als nach knapp zwei Stunden der letzte Beifall verklungen ist und sich der Altmeister etwas abseits an einen Tisch setzt, folgen ihm seine Gäste fast geschlossen, um sich die unterschiedlichsten Werke seiner immensen Bibliografie signieren zu lassen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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