Kultur: Mit voller Puste
Die künstlerischen Höhepunkte des Europafestes: Tango, Opernarien und Bigband-Klänge
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Die künstlerischen Höhepunkte des Europafestes: Tango, Opernarien und Bigband-Klänge Von Babette Kaiserkern Fünf Jahre Nikolaisaal und die Eröffnung der sechsten Saison – das waren Höhepunkte des Europafestes in Potsdams historischer Mitte an diesem Wochenende. Geboten wurde in diesem Jahr ein abwechslungsreiches Programm für jeden Geschmack, Musik, Film und Unterhaltung. Die Kammerakademie Potsdam widmete einen ganzen Abend dem argentinischen Tango, wozu sie am Freitag das Tango Real Quartett und die Tänzer Pablo Veron und Noel Strazza eingeladen hatten. Angesichts der Beifallsstürme für die argentinischen Tänzer schien es, als wären die Zuschauer insbesondere wegen ihnen gekommen. Doch auch die musikalischen Darbietungen des Abends waren exzeptionell. Eines der wenigen europäischen Tango-Musik-Ensembles, das selbst im Mutterland des Tango große Anerkennung gefunden hat, ist das Tango Real Quartett aus Berlin. Seit mehr als zehn Jahren spielt es in derselben Formation mit Paul Raackow (Bandoneon), Matthias Leupold ( Geige), Robert Schmidt (Klavier) und Peter Blazeowsky (Bass). Zufälligerweise ist Matthias Leupold auch Mitglied der Kammerakademie Potsdam und so ergab sich eine Zusammenarbeit beider Ensembles, die man nur als außerordentlich glücklich bezeichnen kann. Das Zusammenspiel von Orchester und Quartett zeigte einmal mehr, dass die Tangomusik längst zur Klassik des 20. Jahrhunderts gehört. Vor allem dem Komponisten Astor Piazolla ist zu verdanken, dass aus dem Tango eine neue Kunstform entstanden ist, die inzwischen weltweit verstanden und gefeiert wird. „Fuga und misterio“ und die Stücke aus der „Angel“-Serie begeisterten mit messerscharfem und zugleich melancholischen Sound. Saitenstriche klingen wie Schüsse, Violine und Bandoneon stimmen ausgiebige Klagegesänge an. Star des Abends war Emma Davislim, die mit ihrer Oboe den Kompositionen von Astor Piazolla unverwechselbare Klangfarben verlieh. Die „Suite für Oboe und Orchester“ und das berühmte „Oblivion“ erglühten beim melodischen Oboenpart wie von Innen heraus, verloren viel von ihrer Kantigkeit und Härte und formten elegische Linien. Die Aggressivität, von der Dirigent Frank Strobel noch in seiner eher überflüssigen Einführung gesprochen hatte, war hier nur noch wenig spürbar. Einzig das Anfangsstück von Julián Plaza, das die Kammerakademie allein unter Strobel spielte, wirkte etwas zu effektvoll und schroff mit forcierten Streicheraufschwüngen und knalligen Kontrasten. Ältere Tangoklassiker wie „La Yumba", „Tanguera“ und „Desde el alma“ verwandelten den Nikolaisaal in einen Tanzsaal. Pablo Veron und Noel Strazza hakten zum synkopierten Rhythmus ihre Beine lässig umeinander und tanzten gekonnt, ohne große Posen und mit einem Hauch von Schwoofen. So soll es beim echten argentinischen Tango sein, verriet ein erfahrener Tänzer am Rande. Ihr Tanz war nicht zackig und abrupt, sondern wirkte wie ein organisch sich entfaltendes Spiel zweier Körper. Für den begeisterten Applaus des Publikums gab es drei Zugaben. Belcanto im Breitwandformat Bei der musikalischen Gala am Samstag konnte die Kulturbeigeordnete Gabriele Fischer berichten, dass der Nikolaisaal in den fünf Jahren seines Bestehens von 360 000 Gästen besucht wurde. Als Anerkennung erhielt die Geschäftsführerin Andrea Palent Glückwünsche, Blumen und einen Oscar vom Deutschen Filmorchester Babelsberg. Unter der Leitung von Scott Lawton setzte sich das Filmorchester dann im Saal gekonnt in Szene und zeigte seine Meriten: Großformat, Breitwandsound und kräftige Farben. Warum auch nicht, schließlich gilt die Oper nicht zu Unrecht als Vorläufer des Films. Was Hector Berlioz und Charles Gounod, Gaetano Donizetti und Vinzenco Bellini für die Oper komponiert haben, hat viele filmische Reize. Wenn dazu noch herausragende Sänger kommen, ist die filmmusikalische Opernfiktion perfekt. Glücklicherweise verfügten der junge Tenor Joseph Calleja und Tatiana Lisnic über solch Ausnahmestimmen. Wenn die Harfentöne rieseln und dazu Horn, Fagott oder Flöten klingen, befindet man sich in der französischen lyrischen Oper. Und wenn der Gesang zu höchster melodischer Pracht gesteigert ist, hat das Reich des Belcanto sein Tor geöffnet. Beides bot das Galaprogramm. Mit „Una furtiva lagrima“ gab Joseph Calleja einen großartigen Einstand, der sich bei „Spirito gentil“ – beides Arien aus Opern von Gaetano Donizetti – steigerte und beim „Pourquoi me reveiller“ aus Massenets „Werther“ einen bejubelten Höhepunkt erreichte. Der als lyrische Tenor bekannte Joseph Calleja, der als Nachfolger von Caruso oder zumindest von Pavarotti gehandelt wird, zeichnet sich durch eine kraftvolle Stimme mit ausgeprägt männlichem Timbre aus und scheint auf dem Weg zum Heldentenor zu sein. Seine Stimme verströmt lyrische Wärme in der Mittellage und feurigen Glanz, überlagert von durchdringender Zugkraft. Doch er wusste auch das leidvolle Innenleben von Werther mit hoher melodischer Phrasierungskunst differenziert zu gestalten. Eine glückliche Schicksalsfügung brachte den siebenundzwanzigjährigen Tenor aus Malta mit der jungen Sopranistin Tatiana Lisnic zusammen, die auch seine Lebenspartnerin ist. In punkto Sangeskraft steht sie ihrem Ehemann keinesfalls nach, wie sich bei den Arien der Elvira „O rendetemi la speme“ (V. Bellini) und der Marguerite aus Charles Gounods Faust zeigte. Tatiana Lisnic verfügt über einen strahlend großen Sopran, vollführt Koloraturen, Glissandi und dynamische Wechsel mit Leichtigkeit. Selbst bei den Zugaben – „Mattinata“ von R. Leoncavallo, „Quano me“n vo“ aus G. Puccinis „Bohème“ und das große Duo „Perdona se ad ora inusitata“ aus Doniziettis „Lucia di Lammermoor“ – zeigte beider Atem keine Ermüdungserscheinungen. Draußen auf der Straße ging es mit der Big Band des Filmorchesters weiter. Bei Boogie, Rock“n Roll und Samba war die Taktzahl etwa doppelt so schnell und das Durchschnittsalter der Zuhörer halb so hoch wie drinnen im Saal. Mit Spanferkel, Caipirinha, Bier und Wein gab es ein flottes Finale des Europafestes.
Babette Kaiserkern
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