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Kultur: Mit Zack-zack

Schubert pur mit der Singakademie Potsdam

Stand:

Es war gewiss keine Sternstunde chorischen Singens und sinfonischen Musizierens bei jenem Schubertabend, zu dem die Singakademie Potsdam mit Unterstützung der Brandenburger Symphoniker am Sonntag in den Nikolaisaal geladen hatte. Doch musste die Strafe nach der einleitenden, reichlich misslichen Wiedergabe des d-Moll-Kyrie D 49 unter Leitung von Thomas Henning gleich so nachhaltig ausfallen, dass die Sänger danach, steif auf dem Podium sitzend, sich auch noch dessen Deutung der 6. Sinfonie anzuhören gezwungen waren?! Das Werk entstand 1817/18 und huldigt dem Zeitgeist. Und der heißt Gioacchino Rossini, der ein Jahr zuvor in Wien eingetroffen ist und die Metropole in einen Taumel sondergleichen versetzt. Auch Schubert kann und will dem nicht widerstehen. Im zweiten und vierten Satz sind die Folgen seines Rossini-Fiebers überdeutlich zu hören. Jedenfalls steht es so in den Noten. Der Dirigent bringt es indes fertig, Rossinis Stilmittel und Schuberts heitere Grundstimmung total vergessen zu machen. Und dazu gehört schon eine Menge an künstlerischer Ignoranz und Selbstüberschätzung.

Schwerblütig, ohne Charme und Eleganz fließt die Musik träge dahin. Sollte sie eigentlich nicht spannungsvoll pulsieren, sich durch differenzierte Dynamik, die vielfältigsten Zwischentöne und -farben auszeichnen? Stattdessen geht’s im Tutti preußisch zack-zack zu, blasen Flöte, Klarinette oder Fagott, drei-vier, ihre Einwürfe. Das Angebot der Streicher an Glanz und Geschmeidigkeit wird vom Dirigenten schnöde zurückgewiesen, und so spielen sie halt wie Musikbeamte: Das Unbeschwerte und Heitere erstarrt in zelebrierter Lustlosigkeit und Langeweile. Des Dirigenten beinliche Tanzarbeiten auf dem Podest übertragen sich leider nicht auf die Tätigkeit der Arme und gedankliche Tiefgründigkeit.

Wenig liebevolle Hinwendung erfährt, wie schon erwähnt, das d-Moll-Kyrie des 16-jährigen Schubert. Kaum mehr als eine Kompositionsübung über eine vergleichsweise geringe Textmenge, begutachtet vom Lehrer Antonio Salieri. Im einheitlichen Fortissimo wird es gleichsam lisztgewaltig, forciert und kompakt im Klang vorgetragen. Wie verwandelt erklingt der Kyrie-Gesang, mit dem sich die As-Dur-Messe D 678 eröffnet: zart und lieblich, geradezu bittend, textverständlich und intonationssicher. Dass später die Einsätze einzelner Stimmgruppen nicht immer präzise ausfallen, mag zeitweiliger Konzentrationsschwäche geschuldet sein.

Dennoch scheint es, als habe man an diesem Werk intensiv geprobt. Chorisch und instrumental, denn auch das Orchester spielt plötzlich differenzierter und mit Hingabe zwischen kraftstrotzenden Abschnitten und gefühlsinnigen Episoden. Es wird italienisiertes Latein gesungen – Geschmacksache. Schmerzerfüllt erklingt das „Crucifixus“ aus dem „Credo“, während die „Gloria“-Schlussfuge sich leider nur als tönend bewegte Fortissimomasse offenbart. An anderen Stellen fällt eine stimmfüllige Männerriege, dann wieder ein schärfefreier Sopranblock auf. Leider ist das Solistenquartett, das seine Aufgaben stets en bloc zu erledigen hat, sehr unausgeglichen besetzt. Kraftvoll tönt der üppige Alt von Helena Köhne, lyrisch und fundiert der Bass von Thomas Wittig. Durchweg ungeschmeidig, durchdringend und brüchig im Pianissimo singt Gabriele Näther den Sopranpart, während der Tenor Reinhard Ginzel auch schon bessere Stimmzeiten erlebt hat. Kurzum: eine sehr preußische und antischubertsche Lesart, die allerdings beifallsfreudig aufgenommen wird. Peter Buske

Peter Buske

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