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Außergewöhnlich. Für das Potsdamer Musikleben ist das Collegium musicum  hier im Thalia-Kino  unverzichtbar.

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Kultur: Mit Zucken in den Armen

Generalprobe zum Sinfonie-Konzert des Collegium musicum in der Babelsberger Friedrichskirche

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„Pfeift ihr Hörgerät?“, fragte Dirigent Knut Andreas nach dem ersten Satz der Sinfonie Nr. 70 Josef Haydn ins Publikum. Die Zuhörer in der Babelsberger Friedrichskirche nahmen es gelassen. Schließlich handelte es sich nur um die Generalprobe zum Sinfonie-Konzert des Collegium musicum. Gemeinsam wurde nach der Ursache des störenden Geräuschs gesucht. In der gut gefüllten Kirche herrschte am Freitagabend ein lockerer Ton. Der Dirigent plauderte ein bisschen aus dem Nähkästchen seines Fachs und die Zuhörer erlebten ein mitreißendes Konzert. Nicht zum ersten Mal verlockte ein interessantes Programm mit einer Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem, Klassischem und gemäßigter Moderne.

Gleich zu Beginn entführte die Haydn-Sinfonie originell und geistvoll in frühklassische Klangwelten. Ihre vier Sätze zeigten das weite Spektrum des Meister-Komponisten und verlangten Höchstleistungen von den Musikern, insbesondere von den Streichern. Vom festlichen, typisch derben Kopfsatz mit stampfenden Streichern und Paukenschlägen ging es zum Andante c-Moll mit der Überschrift nach „Art eines Kanons mit doppeltem Kontrapunkt“. Gedämpfte Violinen, Flöten, Oboen und Hörner zogen melodische und melancholische Schneisen im abwechslungsreichen Tongewebe. Auf ein festliches Menuett folgte eine veritable Fuge, die einzige in den Sinfonien Haydns. Nach bestem Können kämpfte sich das Orchester wacker durch den vertrackten Satz mit seinen drei Themen im doppelten Kontrapunkt. Umrahmt wurde das kunstreiche musikalische Dickicht von einem lachhaft lapidaren Zirpen der Geigen zu Beginn und zum Finale – bestes musikalisches Understatement à la Haydn.

Als schöne Entdeckung entpuppte sich das Oboenkonzert von Bohuslav Martinu, welches dank der Solistin Ulrike Fabienke zu einem Ohrenschmaus wurde. Mit den aparten, unkonventionellen Sätzen und der sprudelnden Klangfülle des Soloinstruments ist diesem Werk ein Platz im Olymp der Solokonzert-Literatur sicher. Nicht allein der zweite Satz, der jede Süßlichkeit mied, zog mit elegischen Cello-Passagen und einsam klagender Oboe, nur von Klavier begleitet, den Hörer in den Bann. Nur die rhythmischen Strudel und böhmischen Tanzmotive des dritten Satzes, die raffiniert gegen- und übereinander gesetzt waren, konnten die virtuose Brillanz noch steigern.

Sicherheitshalber hatte Dirigent Knut Andreas vorgewarnt, dass die dabei möglicherweise in seinen Armen entstehenden Zuckungen nicht besorgniserregend sein würden. Wiederum war bei Fragen wie: „Hören sie den Flügel? Hören Sie die Oboe?“ die Mitarbeit der Zuhörer gefordert, da die akustischen Bedingungen in der böhmischen Weberkirche sich stark von denen des Probenraums unterscheiden.

Auf diese klangvolle Performance von tschechischer Musik am besonders gut passenden Ort folgte mit den „Bildern einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky ein Monument der Modernen Musik. Das nur von Spenden und bescheidenen Eintrittsgeldern lebende Orchester präsentierte die symphonische Version von Maurice Ravel, welche zugleich die preiswerteste der vielen Fassungen von Mussorgskys Geniestreich ist. Glücklicherweise musste auf kaum eines der dafür nötigen Instrumente verzichtet werden.

Der Potsdamer Keimzeit-Musiker Ralph Benschu stimmte auf den Alt-Saxophon ein sensibles Troubadourlied im Bild vom alten Schloss an. Kontrafagott und Tuba führten mit schauerlich düsteren Tönen in die Katakomben hinab. Zitternd und röchelnd, klirrend und klappernd erklang der makabre Totentanz des ganzen Orchesters, bevor der gespenstische Zug verschwand und beim Ruf der Glocken zum Klang eines Chorals im bombastisch triumphalen Finale des „Großen Tors von Kiew“ unterging. Genauso wie das nicht gefundene Nebengeräusch, das aber zumindest jetzt nicht mehr störte. Großen Applaus gab es schließlich für eine außergewöhnliche Generalprobe mit dem für das Potsdamer Musikleben unverzichtbaren Collegium musicum. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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