Kultur: Mitleid gab es nicht
Der Kolonialkrieg in Namibia / Buch in Potsdam vorgestellt
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Der Kolonialkrieg in Namibia / Buch in Potsdam vorgestellt Auch nach 100 Jahren fällt die Aufarbeitung schwer. Die deutsche Kolonialgeschichte in Afrika ist eine zwar kurze, doch umso grausamere Episode. 1884 wurde Südwestafrika, das heutige Namibia, zur deutschen Kolonie erklärt, 30 Jahre später wieder verloren. Ein Gebiet, doppelt so groß wie die Bundesrepublik, beherrscht von den Stämmen der Herero und Nama, das dem deutschen Großmachtstreben endlich das längst überfällige Stück vom Kolonialkuchen bescheren sollte. Doch die Eingeborenen erwiesen sich nicht als die willfährige, kulturlose Masse, die sich dem Selbstverständnis des deutschen Herrenmenschen unterwarf. Im Januar 1904 erhoben sich die Herero gegen die deutschen Kolonialherren. Das Kaiserreich reagierte mit einem bis dahin beispiellosen und grausamen Vernichtungsfeldzug. Erst im vergangenen Jahr, durch die Romane wie Gerhard Seyfrieds „Herero“, trat der Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Mit dem 100. Jahrestag erfährt er nun eine breite Auseinandersetzung in zahlreichen Publikationen. Zu einer der herausragenden Veröffentlichung zählt der Sammelband „Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen“, der am Mittwoch im Beisein der Herausgeber Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller in der Reihe „Nachlese - Das politische Buch“ in der Landeszentrale für Politische Bildung vorgestellt wurde. In zahlreichen Aufsätzen wird hier Namibias Weg zur Kolonie, der Krieg von 1904-1908 sowohl aus der deutschen als auch aus der Perspektive der betroffenen Volksstämme und der Umgang mit der Erinnerung nachgezeichnet. Fotografien und Briefausschnitte lassen eine Nähe zu den Ereignissen entstehen, die oft als beklemmend empfunden werden muss. Doch in erster Linie, so Zimmerer, sei es darum gegangen, die bisherigen Erkenntnisse über diesen Kolonialkrieg in einem Buch zusammen zu tragen. Zimmerer, der an der Universität Coimbra in Portugal Vergleichende Historische Genozidforschung betreibt, sprach über den Verlauf des Krieges und seine Bewertung. Die anfänglichen Erfolge der Herero fanden ein jähes Ende in der Schlacht am Waterberg. Die anschließende Flucht der Herero in die Omahekewüste wurde zu ihrem Verhängnis. Die deutsche Politik gegen die fliehende Herero und später auch gegen die Nama bestand in einer unverhohlenen Vernichtungsabsicht. Ob Männer, Frauen oder Kinder, systematisch wurden durch deutsche Soldaten die Wasserstellen besetzt, der Tod durch Verdursten billigend, gar gewollt in Kauf genommen. Tausende, gesicherte Zahlen gibt es nicht, kamen in der Wüste oder später in den Konzentrationslagern ums Leben. Zimmerer charakterisierte diesen Krieg als einen „der blutigsten und zerstörerischsten Kolonialkriege der Geschichte“, ein „Rassenkrieg“, den er als Völkermord bezeichnete, ein „Tabubruch“ der seine radikalste Ausprägung im Holocaust fand. Eine Aussage die prompt auf Widerspruch stieß. So warf einer der gut 60 Zuhörer, betonend, dass er das Buch nicht gelesen habe, Zimmerer vor, dass dieser sich von moralischen Empfindungen leiten lasse, historische Kategorien nicht beachte. Zimmerer wies dies zurück. Seine Kategorie bei der Auseinandersetzung sei der, in der UN-Völkerrechtskonvention definierte Begriff des Völkermordes gewesen. Die hier festgelegten Handlungen, verglichen mit den Geschehnissen im Kolonialkrieg, belegen den Genozid. Das habe nichts mit moralischen Empfindungen zu tun. Joachim Zeller, der über die Erinnerungskultur sowohl in Deutschland und Namibia sprach, griff diese Diskussion auf. Oft genug erfahre man, selbst von renommierten Historikern, die jenseits jedes Revisionismus stehen, Ablehnung beim Genozidbegriff, weil hier die Gefahr bestehe, die Einmaligkeit des Holocaust zu relativieren. Ein Argument, das für die Aufarbeitung nicht hilfreich sei. Und selbst in Namibia tun sich gerade Deutsche schwer. So verkaufe sich dort ein Buch, so Zeller, das eindeutig rechtsgerichtet, den Völkermord leugnet, besser als ihre Veröffentlichung, werde ihnen vorgeworfen, dass sie mit ihrer Arbeit ihr Holocausttrauma auf Namibia übertragen.Dirk Becker Jürgen Zimmerer, Joachim Zeller (Hg.): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen, Ch. Links Verlag Berlin, 22, 90 Euro.
Dirk Becker
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