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Kultur: Mitreißend

Ein Neujahrskonzert auf die feine, englische Art

Stand:

In bester Laune tritt Dirigent Howard Griffiths am Neujahrsnachmittag auf die Bühne vor „sein“ Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt. Gleich zu Beginn saust die Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ durch den seit Wochen ausverkauften Nikolaisaal. Die Zuhörer ergötzen sich am federnd leicht gespielten Vorspiel aus Gioacchino Rossinis Opera buffa, das bis heute nichts an Frische eingebüßt hat. Doch es kommt noch besser. Vier Gentlemen mit weißen Dinnerjackets eröffnen schon mal den Potsdamer Sommer, wie Howard Griffiths erläutert. Denn solch eine Kluft trägt man im englischen Sommer, das heißt von März bis November. Im Unterschied zum Winter ist der Regen dann etwas wärmer.

Ohne Umschweife schmettern die vier Herren des London Quartetts alle Strophen der „Schönen blauen Donau“ zur beschwingten Orchesterbegleitung in den Raum. Sie können aber nicht nur auf Deutsch singen, sondern auch sehr gut sprechen, wie sich bei ihrem erstmaligen Auftritt in Potsdam zeigt. Die vier Herren Michael Steffan (Bariton), Richard Bryan (Countertenor), Mark Fleming und Steven Brooks (Tenor) begeistern schon seit 20 Jahren das Publikum mit Gesang und englischem Humor. Das geht so: Bei der a-capella-Version von Duke Ellingtons „Caravan“ fabrizieren die graumelierten Gentlemen allerlei Töne mit Mund und Nase, die man hier kaum beschreiben mag, auch mimisch und gestisch feiert die Parodie fröhlich Einstand. Doch bei allem, sei es auch noch so verrückt oder absurd, wird Distanz bewahrt, die zeigt, dass man über den Dingen steht. Gerade zur Musik gehören schon immer Parodie, Ironie und Persiflage. Dass die Engländer in dieser Kunst schon immer besondere Meister waren, zeigt sich bei Gordon Jacobs köstlicher Parodie „Barber of Seville goes to the Devil“. Dieser Tradition folgt auch das London Quartett mit seiner „Geschichte der abendländischen Musik der letzten 1000 Jahre auf der Suche nach der Schönheit“ – eine Tour-de-force aus Tönen, die vom gregorianischen Choral über mittelalterliche Drehleier-Musik, Pachelbels Kanon, Händels Hallelujah, Mozarts Nachtmusik, Beethovens Fünfte und Wagners Walkürenritt reicht. Der Streifzug endet mit Stevie Wonders Song „I just called to say I love you“ in einer Version des London Quartetts für vierstimmigen Gesang und Orchester. Dass Komik oft mit besonderer Empfindsamkeit einhergeht, zeigt sich bei der Eigenkomposition „Hush Macushla“ einem traumhaft zarten Wiegenlied. Auch bei Jacques Offenbach verläuft die Grenze zwischen Sarkasmus und Melancholie sehr eng. Dessen romantische Barcarole erklingt beim Vortrag des London Quartetts ziemlich seriös, was wohl als Hommage an einen Geistesverwandten zu verstehen ist.

Mit feurigen spanischen und mexikanischen Klängen entführt das Frankfurter Staatsorchester in heißere Gefilde. Kastagnetten und Paso-Doble-Rhythmus ertönen bei der „Boda de Luis Alonso“ von Gerónimo Giménez. Mit „Huapango“ von José Pablo de Moncayo und „Danzón Nr. 2“ von Arturo Márquez erklingen zwei Werke mexikanischer Komponisten, die laut Howard Griffiths heute als „inoffizielle mexikanische Hymnen“ gelten. Beim Klang von Mariachi-Trompeten, schäumenden Rumba- und Salsa-Rhythmen, vibrierendem Schlagwerk, Harfe, Piano, Klarinette und Flöte geht richtig die Post im Saal ab. Dank und Applaus dem Brandenburgischen Staatsorchester und dem London Quartett für eine wunderbar mitreißende, erwärmende musikalische Ouvertüre zum neuen Jahr. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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