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Kultur: Mitreißender Kehraus ohne Bizarrerien

Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam

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Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam Wie kaum einer seiner Zeitgenossen verstand es Georg Philipp Telemann Erscheinungen aus Natur und Gesellschaft in Musik umsetzen. Erst unter dem Diktat der absoluten Musik gerieten seine programmatischen Kompositionen ins Abseits. Zu Unrecht, wie sich beim Sinfoniekonzert der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Marcus Creed zeigte. Die Suite G-Dur von Georg Philipp Telemann „La Bizarre“ stellt den lautmalerischen Genius des oft verkannten Komponisten überzeugend vor und zeigt den Barock mit seiner Lust an Extremen aller Art. Nicht nur in der Kunst fallen Lichtkontraste und ausufernde Dekorationen auf, verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Natur und entstehen die seltsamsten Scheingebilde. Auch die Musik gefällt sich in der Zurschaustellung von Bizarrerien aller Art, nicht selten mit satirischer Perspektive. Groteske und Hyperbel sind gefordert, werden aber nicht immer lustvoll genug umgesetzt. Von anderem Kaliber sind die „Folksongs“ des italienischen Komponisten Luciano Berio. In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden, verkörpern sie die Suche nach grenzüberwindender Völkerverständigung jener Zeit. Für Berio war die moderne Musik eine Möglichkeit, diese Schranken zu überwinden, lange bevor „Weltmusik“ zum Schlagwort der Plattenbranche wurde. Seine elf „Folksongs“ basieren auf Texten in verschiedenen Sprachen von Englisch bis Aserbaidshanisch. Berios verhalten moderne Tonsprache fokussiert die facettenreiche Solostimme, von der ungemein viel gefordert wird. Die englische Mezzosopranistin Susan Parry verfügt über ein entsprechendes vokales Volumen und besitzt ein edles Timbre, kann aber nicht alle Facetten erschließen, eher die intimen, weniger die ausgesprochen extrovertierten Gesangsstücke. So bleibt der Vortrag als interessantes Cross-Over-Exempel zwischen Folklore und Moderne haften. Ähnlich wie Berio verarbeitete Sandor Veress folkloristische Motive mit modernen Kompositionstechniken. Die vier transsilvanischen Tänze des Bartok-Schülers werden von den kammerakademischen Streichern molto espressivo mit formidablen Klängschüben und subtilen Solopassagen von Violine, Viola und Cello vorgetragen. Das klingt fast als wäre man in einem Konzert des frühen Arnold Schönberg, bis auf die ungewöhnlichen rhythmischen Verläufe - eine delikate Balance zwischen schönen Tönen und archaischen Metren. Dem alten Haydn gelingt es wieder einmal, das Publikum zu begeistern. Mit seiner Sinfonie Nr. 88 kann man wohl auch nichts falsch machen. Sie lässt in ihrer frühklassischen Angemessenheit jegliche Bizarrerien hinter sich, verzichtet aber nicht auf kunstvolle Klangeffekte. Sehr schön wird der zweite Satz, den die Oboe bukolisch prägt, in geschwungenen Linien ausmusiziert, wenn auch von harschen Paukenschlägen mehrfach unterbrochen. Auch für den mitreißenden Kehraus findet die Kammerakademie Potsdam die rechten Töne und schaltet unter dem engagierten Dirigat von Marcus Creed in den fünften Gang ohne an Klangfülle und Sicherheit zu verlieren.Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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