Kultur: Mitten ins Herz
Ab heute Abend ist sie Rosalinde: Dagmar Manzel im Porträt
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Dass Dagmar Manzel eine außergewöhnliche Frau und Ausnahmedarstellerin ist, wo auch immer sie auftritt, ist inzwischen längst zum Allgemeinplatz geworden. Wie nur wenige Allgemeinplätze bleibt dieser aber wahr, und scheint sich mit jedem neuen Projekt zu bestätigen. Immer schon hat sie das Publikum mit Unerwartetem überrascht, ob als Petra Kelly, Eva Klemperer, Lucette oder Kriemhild, hat die Herausforderung gesucht, das Neue, bisher Unversuchte, um künstlerisch weiter zu wachsen. Heute Abend wird sie nun die Rosalinde in der „Fledermaus“ von Johann Strauß im Theater am Tiefen See singen. Eine doppelte Premiere: zum einen die erste Operette am neuen Haus. Und die erste Sopran–Partie für Dagmar Manzel.
Beim Gespräch in der Kantine des Theaters erscheint die Schauspielerin zierlich, in Trainingsjacke und etwas erschöpft von der Vormittagsprobe. Mittagszeit, eine Geräuschkulisse aus Besteckgeklapper und Pausengeplapper. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre, zwischendurch erscheint Tochter Klara am Tisch, die an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ Schauspiel studiert und gerade Enda Walshs „Chatroom“ probt. Es ist das erste Mal, dass Mutter und Tochter am gleichen Haus spielen, und sie genießen es sichtlich. Was sie davon hält, dass die Tochter jetzt den gleichen Beruf ergreift? „Wunderbar!“ Sie habe Verschiedenes probiert und sich jetzt eben entschieden.
Das Sich-Ausprobieren-Wollen haben Mutter und Tochter gemeinsam. Dagmar Manzel hat sich nie festlegen lassen. Immer hat sie neben den großen tragischen Rollen auch das Humoristische oder Leichte gespielt. Oft auch, und dafür liegt das Publikum ihr zu Füßen, vereint in einer Figur. Schon bald nach Beendigung ihres Schauspielstudiums an der Staatlichen Schauspielschule Berlin 1983 feierte sie Erfolge am Deutschen Theater, spielte in „Der Cid“, „Kriemhilds Rache“, „Ithaka“. Sie blieb bis 2001 am Haus engagiert, begann aber parallel auch in Filmproduktionen mitzuarbeiten. Die erste war 1991 Heiner Carows wunderbarer Film „Coming Out“. Es folgten unter anderem „Schtonk“, „Crazy“, „Die Apothekerin“, und zuletzt „Frei nach Plan“.
Was in Manzels Biographie immer wieder auffällt, ist die Vielfalt ihrer Arbeiten, das Nebeneinander von Komödie, Tragödie, Film und Theater. „Das Wichtigste ist, nicht in Zwängen zu leben. Der Luxus, frei wählen zu können, was man machen will“, sagt sie. Der Markt mit seinem Verlangen nach Verkäuflichem, leicht Verdaulichem habe bei ihren Entscheidungen nie eine Rolle gespielt, sondern immer in erster Linie ihr eigener Anspruch auf Qualität. Dass man dafür auch einmal weniger in der Presse auftaucht, nimmt sie in Kauf. Was oder wen sie spielt, entscheidet sie vor allem nach Regisseuren. Nicht immer muss das ein Thomas Langhoff sein: Wenn das Projekt stimmt, arbeite sie auch gern mit (noch) namenlosen Anfängern. Als Künstlerin hat sie sich mit ihren verschiedenen Standbeinen immer eine gewisse Souveränität bewahren wollen, um den hart erarbeiteten „Luxus“ der Unabhängigkeit erhalten zu können. Seit 2001 arbeitet Dagmar Manzel daher als freie Schauspielerin.
Vor etwa 13 Jahren kam ein weiteres Standbein hinzu: der Gesang. Ihren professionellen Auftakt als Sängerin gab sie damals an der Seite von Jochen Kowalski mit „Eine Sehnsucht, ganz egal wonach“. Ihre Leidenschaft für die Musik aber reicht viel weiter zurück. Eigentlich begann sie mit einer Platte von Offenbachs „Barcarole“. Die gefiel ihr als kleines Mädchen so sehr, dass sie beschloss, Sängerin zu werden. Es kam dann anders, die Liebe zur Musik und der Wunsch zu singen aber blieben. Zudem eine in jene Zeit zurückreichende Liebe für klassische Musik: Bach, Schubert, Beethoven. Das Singen sei bei ihr einfach ein „Grundbedürfnis“, sagt sie, und kommt ins Schwärmen: Im Gegensatz zum Theater, zum gesprochenen Wort, habe Musik die Fähigkeit, auf unmittelbare Weise zu berühren. „Musik trifft einfach mitten ins Herz“.
Zum ersten Alleingang als Sängerin, dem Liederabend „Ich bin ein Wesen leichter Art“ 2001 am Deutschen Theater, musste sie ihr Freund und Kollege Jochen Kowalski noch überreden. Der Abend wurde zum großen Publikumserfolg. Wie auch im Theater überzeugte Dagmar Manzel hier mit ihrer enormen stimmlichen Bandbreite, mit der sinnlichen Lebendigkeit ihrer Rollen und der virtuosen Leichtigkeit, innerhalb von Sekunden wechselnd von brünstiger Wolllust zu bezirzender Unschuld. 2002 folgte „Die Großherzogin von Gerolstein“, der große Triumph, von Kritik und Publikum gleichermaßen begeistert gefeiert. Die Vorstellungen im Deutschen Theater waren wochenlang ausverkauft, spätestens jetzt ist Dagmar Manzel auch als Sängerin etabliert.
Von sich selbst spricht sie dennoch stets als „singender Schauspielerin“. Auch wenn sie inzwischen bereits mehrere erfolgreiche Partien an der Komischen Oper sang und in der nächsten Saison in „Kiss me, Kate“ wieder singen wird. Bescheidenheit? Vielleicht ein Ausdruck ihres Respekts vor dem Opern-und Operettenfach und Zugeständnis an das Spielen, das sie vom Singen nicht trennen kann. Und will.
Für die Rolle der Rosalinde in der „Fledermaus“ am Hans Otto Theater hat sie bereits im Mai mit der Einstudierung begonnen. Aber ach die Rosalinde, was für eine Rolle! Die Partie sei einfach „Wahnsinn“ und Johann Strauß’ Musik ein „Fest für singende Schauspieler“. “Sie schreit geradezu nach schauspielerischem Singen!“ Besonders die spritzige Situationskomik der Operette hat es Dagmar Manzel angetan, die Intrigen und Lügengefilde, die keiner beherrscht und alle beherrschen wollen. Und Potsdam? Den neuen Bau findet sie „einfach schön“, die Lage am See sorge für ein tolles Ambiente. Und die oft kritisierte Akustik ist für sie kein Problem, sondern beim Singen sogar eher „schmeichelnd“ für die Stimme. Dass man in großen Häusern prononciert sprechen muss, ist sie gewöhnt.
Ist denn eigentlich glücklich, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist? Da sei schon etwas Wahres dran, sagt die Ausnahmschauspielerin im Gehen. Eine gewisse für sie nachvollziehbare Gelassenheit, vielleicht sogar, man höre und staune, die des Alters. Die Freiheit, auch mal abzugeben, sich schrittweise zurückzulehnen, das lerne sie erst mit den Jahren. Wieder einmal hat sie es geschafft, zu überraschen.
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