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Stilbewusster Ost-Westfale. Der Pianist und Kabarettist Sebastian Krämer.

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Kultur: Mittenmang das „Durchhalte-Büfett“

Lange Nacht des Kabaretts mit Anka Zink, Mathias Wedel, Sebastian Krämer und Dietrich & Raab

Stand:

Mal mit etwas mehr, mal mit etwas weniger Glück veranstalten die Potsdamer „Obelisken“ stets im Herbst eine lange Nacht des Kabaretts. Sie war am Anfang tatsächlich ziemlich lang, wie Hippokrates das an der Kunst selbst ja auch bewies. Im Laufe der Zeit wurde diese Veranstaltung dann ein wenig kürzer, so wie, gleichfalls nach Hippokrates, das Leben selbst. Nun geht es bei dieser jährlichen Kabarett-Klimax weder um Kürze oder Länge noch um Leben oder Tod. Man will seinem Publikum, welches man in der Charlottenstraße 31 nach dem letzten Programm-Flyer des Jahres ziemlich filigran nach Liebhabern, Freunden, Gästen „und allen anderen Besuchern unseres Hauses“ einteilt, einfach mal ein bisschen mehr bieten als das Übliche. Das versteht man.

So ein Abend fügt sich dann aus Gastspielen meist nationaler Brettl-Zunft-Genossen sowie ihrer literarischen Ziehväter zusammen, wobei es mittenmang das inzwischen legendäre „Durchhalte-Büfett“ gibt. Schöne Geste an den kritischen Hunger des Publikums, aber gastfreundlich geht es im Kabarett Obelisk ja immer schon zu. Auf Kurzbeiträge eigener Handschrift verzichtet die Belegschaft in der Charlottenstraße, überhaupt ist eine thematische Ausrichtung solcher Treffen nicht gleich auszumachen, höchstens als Blick auf das Publikum.

Dergestalt also gab es, in aller Kürze, auch am Samstag wieder eine lange, gut besuchte Nacht. Sie war vor Zwölf zu Ende. Den Anfang machte Anka Zink aus Bonn, kurz „Powerfrau“ genannt. Aus ziemlich naheliegenden Gründen (wo sie sitzt, da ist auch ein Weltkonzern fürs Kommunikative) zog sie über die neuen Medien her, darin es sich lediglich addieren und subtrahieren lasse, bis sich endlich der alltägliche Wahnsinn einstellt. Die Absurdität einer kreuzverkehrten Welt. Blöd genug also, wenn die Menschen den Planeten nur noch technisch sehen und verstehen wollen. Trotzdem: „Wir im Westen hatten dafür wenigstens noch den lieben Gott, und ihr?“ – Wieso „hatten“? Ihr folgte der Erz-Lästerer Mathias Wedel nach, seines Zeichens Chef des Satiremagazins „Eulenspiegel“ und Autor manches schmalen Bändchens. Auch er hielt sich an die Kürze des Lebens, als er diesen und jenen Text über eine Verflossene las, die gute alte DDR. Da ging es um die Aufarbeitung von in Kinderkrippen herangezüchteten Stasi-IMs, um gute und schlechte Erziehung, um notleidende Millionäre heute, um derentwillen er die neueste Ausgabe der „Eule“ für fünf Euro versteigerte.

Gar nicht so einfach, das Leben in der Zone, immer auf Bajonetten und auch noch ohne Bananen! Die gab es dann natürlich beim Durchhaltebüfett in der großen Pause, doch nicht als Hauptgang. Der addierte sich aus warmen und kalten Speisen, aus langen Würstchen von Wien und Kassler aus Kassel, der Sauerkohl kam vielleicht gar vom Sauerland. Eine Stunde Ruhe vor dem Sturm! Der betrat dann im seidenglänzenden Anzug grauer Farbe die Bühne, Tolle auf dem Haupt, ein Lächeln beim Mund, gleichfalls graue Weste.

Was Wunder, Sebastian Krämer ist ja auch ein waschechter Ost-Westfale! Und ein Klaviervirtuose dazu, ein ganz Subversiver! Bei ihm schleicht sich der grimmige Geist immer nur ganz softig durch die Hintertür ein, vorderhand ist Lachen, aber was für eins! Er brauchte keine Argumente, er drosch seine Lieder einfach nur in das altersschwache Klavier hinein, das war mehr! Ob er nun vom ewig dienstbaren Mann einer immer nur schlummernden Emanze sang, welchen sie zum Schluss mit vier Kopfschüssen erledigte, ein Kuschel-Liebeslied oder davon, dass er weniger zum Klassenkampf als zum Konterrevolutionär tauge, alle seine Themen wurden samtweich mit pechschwarzem Schwarzhumor und makabrer Soße übergossen. Nur seinen Baby-Käse nicht, den er zwischendurch aß – das war das unbekannte Loch in seinem Vortrag. Einen hatte er dann noch, das gewitterartige Lied für und wider alle Deutschlehrer, die weder die falsche Rechtschreibreform noch dieses Lied verhindert haben. „Schande über Euch, Schande, Schande!!!“, donnerte er von der Bühne herab. Der Saal kochte.

War bei Sebastian Krämer nun wirklich alles Untertext, so hatte es das Rostocker Duo Dietrich & Raab ein wenig schwer, mit einem Dialog-Programm den richtigen Anschluss zu finden. Was sie zu sagen hatten über die Welt-Finanz-Ströme nebst zugehöriger Crash- oder Investment-Banker sowie über eine Jugend, welche eine Welt retten will, die es gar nicht mehr gibt, war klug und auch schwarzhumorig gemacht, entbehrte aber oft eines doppelten Bodens. Ganz traditionell eben. Aufklärer-Stil entsteht immer dann, wenn man meint, eine richtige Sache sei nur etwas in Schieflage geraten. Und zu reparieren. Das war dann auch die Crux des langen Abends. Keinem Akteur fiel es ein, dass alles über kurz oder lang auch mal kaputtgehen könnte. Früher stellte man an diesem Punkt die Grundsatzfrage, statt weiter nur Erscheinungen zu vermöbeln.

Aber mein Gott, wer traute sich das denn heute noch! Das Leben ist doch viel zu kurz.

Gerold Paul

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