Kultur: Modell Venedig
Statt „Virgin“: Kontroverse Kunst für die Kulturhauptstadtbewerbung / Ausstellung im Waschhaus
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Statt „Virgin“: Kontroverse Kunst für die Kulturhauptstadtbewerbung / Ausstellung im Waschhaus Pestärzte setzen schwebende Gondeln in Brand, darunter der Canale Grande, dazwischen Kirchturmspitzen und Glockengeläut. Heute Abend wird Venedig in einer „apokalyptischen Vision“ und künstlerisch überformt von Hans Peter Trauschke zur Vernissage im Waschhaus untergehen. Trauschke sollte heute eigentlich ein ganz anderes Kunstprojekt feierlich eröffnen: das kontrovers diskutierte Projekt „Virgin“, bestehend aus 36 Neoninstallationen für die Brandenburger Straße und ebenso vielen, die im Waschhaus untergebracht werden sollten. „Es ist komplett produziert“, so HP Trauschke, der sich zusammen mit Robert Reynolds aus Los Angeles für die Durchsetzung der Installation einsetzte. Die Kontroverse, in die sich sogar zeitweise die Kirche eingeschaltet hatte, ließ es ratsam erscheinen, das Projekt vorerst zu verschieben. „Um die Bewerbung zur Kulturhauptstadt nicht zu gefährden. Es kommt aber definitiv im April“, so Trauschke. Stattdessen also „Fire and Water“ und Venedig. Denn, so erklärt der Produzent zahlreicher, teils sehr aufwändiger Kunstprojekte, „Venedig kann als Modellstadt für Potsdam gesehen werden.“ Und so wird in der nun öffnenden Schau eine direkte Analogie gezogen zwischen Havel und Kanälen, zwischen historischen Palazzi und hiesigen Schlössern. Die italienische Pfahlstadt gilt für Trauschke aber auch als Modell im Umgang mit moderner Kunst, gerade im Hinblick auf die Bewerbung zur Kulturhauptstadt. Venedig ruhe sich nicht auf ihren Renaissanceschätzen aus, in ihr lebe eine ständige Auseinandersetzung mit moderner Kunst – Architekturbiennale, Guggenheim, Palazzo Grassi – als Beispiele genannt, die für Potsdam vorbildlich sein könnten. „The Venice Project“ war sogar bereits in Potsdam zu sehen. Vor einem Jahr wurden die 33 Gondel-Mobilees, die aus umgedrehten Wasserflaschen gearbeiteten „Kirchen“ und die elfenbeinfarbenen Wassereimer bereits in der Russenhalle gezeigt, „jedoch in ganz anderem Kontext“, wie Trauschke versichert. Nun dient Venedig also als Musterbeispiel, und zwischen den „venezianischen" Objekten, die von der Decke baumeln, sind konkrete, Vorschläge platziert, wie denn „moderne Kunst“ aussehen könnte. Da findet man ein älteres Projekt, ein Modell zu „Blue Box Europe", ein aus kleineren Würfeln zusammengesetzter begehbarer Kubus, der, geht es nach Trauschke, in 18 Meter Seitenlänge auf dem Tiefen See schwimmen soll, und aller Art von Kunst Heimat bieten könnte. Drei Meter messende Kunst-Würfel sollen im Kulturhauptstadtjahr, jeweils von einem anderen Künstler ausstaffiert, in europäischen Städten auf Potsdam weisen. An anderer Stelle thematisiert eine Zusammenstellung von Gartenzwergen, über denen ein Artgenosse mit einem Strick um den Hals baumelt, das Schicksal eines Künstlers, der von einer Kunstverwaltung drangsaliert wurde. „Kunstverein“ nennt Trauschke diese Anspielung auch auf die Potsdamer Vorgänge um den Stipendiaten Maier. Eine Neoninstallation dürfte tatsächlich das Zeug für eine Kontroverse haben, wäre ihre Aussage nicht zu platt, zu zynisch, zu offensichtlich auf Provokation ausgerichtet. Ein Modell einer Neoninstallation richtet sich nach Trauschkes Erklärung an Osama Bin Laden: „We forgive you, we love you very much, we can“t wait to see you.“ (Wir vergeben Dir, wir lieben Dich sehr, wir können nicht abwarten, Dich wieder zu sehen). Auch die imaginierte Antwort des Terroristen wartet in Neonröhren hinter goldener Folie auf Enthüllung. Sie lautet vielsagend nichtssagend „I“m not here“ (Ich bin nicht da). Alten Wein in neue Schläuche abzufüllen, könnte man „Fire and Water“ vorwerfen, denn auch die überzeugenderen Exponate, so der automatische Ruderer, der Heilsbotschaften trotz aller Anstrengung nie erreicht, sind – wie der Gesamtrahmen „Venedig“ der Schau auch – nahezu ausnahmslos an anderer Stelle bereits gezeigt worden. Ein Verdienst Trauschkes bleibt allerdings, als erster konkrete Vorschläge zu machen, wie denn ein Kunstprojekt, das eine europäische Dimension besitzt, überhaupt aussehen könnte. Wenn diese dann in eine kontrovers geführte Diskussion münden, ist das kein Zeichen für Versagen, sondern überhaupt Voraussetzung für eine zukünftige Kulturhauptstadt. Denn da hat HP Trauschke Recht: „Man braucht die Auseinandersetzung mit dem Jetzt.“ Matthias Hassenpflug Bis 11. März, Mo. – Fr. 16 – 20 Uhr, So. 12 – 18 Uhr, Vernissage: heute, 20 Uhr.
Matthias Hassenpflug
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