Kultur: Modernisierter Gogol im Comédie soleil
Solo-Performer-Festival begann mit „Aufzeichnungen eines Verrückten“
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Solo-Performer-Festival begann mit „Aufzeichnungen eines Verrückten“ Es gibt Neuigkeiten vom „Theater in der Brandenburger Vorstadt“, der Comédie soleil: Bevor der Potsdamer Schauspieler und Regisseur Eckhard Becker im Mai sein Stück „Centrum Ost – Der lange Arm“ für die Privatbühne von Michael Klemm einrichten wird, hat man ein „Solo-Performer-Festival“ ins Leben gerufen, welches am Freitag und Sonnabend mit Nikolai Gogols Prosatext „Aufzeichnungen eines Verrückten“ begann. Einen Monat lang werden sich bekannte oder weniger bekannte Bühnen-Künstler in der Feuerbachstraße die Klinke in die Hand geben, um von „Schiller und Konsorten“ bis zu Hauffs „Kaltem Herzen“ Potsdams kulturellen Geist ein wenig zu erfrischen. Klemms letzte Inszenierung mit Marc Marchand, „Death Row Valley“, wurde übrigens kürzlich in der Tegeler Justizvollzugsanstalt gezeigt. Allmählich scheint die Spielplanung des „Soleil“ ihre „Abnehmer“ zu finden, zur zweiten Aufführung des leicht modernisierten Gogol waren jedenfalls mehr Besucher gekommen als zum Premierentermin früherer Aufführungen, sehr erfreulich. Eine Dame äußerte nach gut siebzig Minuten Thomas Klischke solo ganz spontan „Jut!“ Nun, darüber kann befunden werden. Zuerst einmal ist die „Rückeroberung“ des brillanten Dichters Nikolai Gogol (1809-1852) eine dankenswerte Tat, denn die russische Literatur des 19. Jahrhunderts ist heute leider aus der Mode. Als skurriler Romantiker und Verfasser von „Nase“, „Mantel“ und brillanter Dramen („Revisor“) gilt er als ein Mann des Mitleids und Verächter des Spießbürgertums. Sein „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ (der Titel wird unterschiedlich übersetzt) von 1836 schildert mit Bitterkeit und Wehmut die Lebensstationen des niederen Beamten Akzenti Iwanow Propristschin, Bleistiftanspitzer in ministeriellen Diensten St. Petersburgs, welcher sich zu Höherem berufen fühlt. Wäre dieser hagere Bursche nicht eine Figur von Gogol, so müsste man, was er mit Wimmern, Zürnen und Klagen über seine Vorgesetzten und andere „Tote Seelen“ sagt, tatsächlich ernstnehmen. So heimlich wie unerreichbar liebt er die Tochter seines Chefs, donnert im 36-seitigen Prosatext gegen alles, was anders denkt als er, spricht und korrespondiert sogar mit den Hunden. Doch irgendetwas stimmt da nicht. Tatsächlich erfährt man, dass dieser arme Kerl in einer Irrenanstalt lebt, wo er, brachial behandelt, im Innern zum König von Spanien heranwächst. Eine satirische Kunstfigur durch und durch: Das Amt eines Bleistift-Anspitzers dürfte es nicht einmal im Zarenreich gegeben haben. Thomas Klischke zieht zuerst mit einem Tau ein Geviert auf der Bühne von Katja Maier. Es markiert sowohl Spielraum wie auch Grenzübertritt, denn Propristschin steigt auch ins Publikum, um seine vortrefflichen Kräfte zu demonstrieren; eine Dame darf den „spanischen Regenten“ sogar etwas küssen. Ein Stuhl ist lange hin sein einziges Versatzstück. Der Berliner gibt seinen Text mit vielen Breaks flüssig, spielerisch, komödiantisch, doch scheint der Regie (Siegfried Bast) die Doppelbödigkeit dieser Figur, das So- und Anderssein, ein wenig durch die Hände geglitten zu sein. Wo Neid und Denunziation überall lauern, spricht man nicht jedes Wort („Hunde sind die wahren Politiker“) offen aus, auch wenn es nicht lügt. Die schlicht beanzugte Figur hat in sich zu wenig Widerspiel, kaum Untertext und jenes Grauenhaft-Unheimliche, das sich durch Gogols gesamtes Werk zieht. Sie hält es meistens mit der einfachen Vernunft, gut anzusehen, aber nicht vollkommen. Freilich wollte die Regie dieses „Tagebuch“ unbedingt zwischen Theatralik und aktueller Gesellschafts-Satire ansiedeln, man hörte den „Kanzler“ reden und erfuhr, dass der Emir von Dubai eine Warze unter der Nase habe – warum das Publikum unterfordern? Klischkes textnahe Version ließ das Beste vom Ende leider aus, wo der arme Irre in einer berührenden Sentenz niemanden anderes als seine Mutter um Hilfe anruft. Na jut... Gerold Paul Nächstes Solo am 15. und 16. April mit „Pusteblumenzeit“, Torsten Riemann, Musiker und Songpoet, Berlin, Beginn 20 Uhr
Gerold Paul
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