
© Patrick Pleul/dpa
Von Dirk Becker: Momente des ersten Glücks
Lutz Seiler hat nach sieben Jahren einen Gedichtband veröffentlicht/Morgen Buchpremiere in Potsdam
Stand:
„jeder
traum beginnt bergauf, am zaun
zur Straße, wo
jemand hockt wie du“
(aus „abfahrt“)
Das eigene Aufatmen überraschte dann doch. Da lag der schmale Band „im felderlatein“ auf dem Schreibtisch. Nur wenige Zentimeter daneben der wie gerupft wirkenden Umschlag, in dem der Verlag das Buch geschickt hatte. Geduldiges Öffnen sieht anders aus. Ein hastiges Blättern zu der Seite, auf der das erste Gedicht mit dem Titel „abfahrt“ steht. Ein kurzes Innehalten noch und dann begann das Lesen. Und schon nach den ersten Zeilen dieses Aufatmen, das so überraschte, weil einem erst dadurch bewusst wurde, wie gespannt, wie angespannt man war.
Dann stellte sich diese Ruhe ein. Und dann dieses feine, fast durchsichtige Glücksgefühl, wie es nur in den Momenten erlebt werden kann, in dem einen bewusst wird, dass da gerade etwas passiert, das nicht einfach nur schön oder wunderbar, sondern irgendwie einmalig und fast schon perfekt ist. Das Glück des ersten Moments, das so nie wieder erfahren werden kann. Egal wie oft man dieses Gedicht auch wieder und wieder lesen wird. Aber ein kurzes Blättern durch „im felderlatein“ machte schnell klar, dass mit den Gedichten in diesem Buch noch oft das Glück des ersten Moments zu erleben ist.
„ich sah, was kiefern schrieben mit
ihrem vom schnee schwer abgehangenen
gebein; jeder satz
war in den schlaf gespannt“
(aus „in die mark“)
Es liegt mittlerweile sieben Jahre zurück, dass der Schriftsteller Lutz Seiler, der in Wilhelmshorst das Peter-Huchel-Haus bewohnt, mit „vierzig kilometer nacht“ einen reinen Gedichtband veröffentlicht hat. Danach dann Aufsätze und Seilers erfolgreicher Ausflug ins Prosafach. Mit der Erzählung „Turksib“ gewann Seiler 2007 den Ingeborg-Bachmann-Preis und sein im vergangenen Jahr erschienener Erzählband „Die Zeitwaage“ wurde nicht nur von der Kritik euphorisch gelobt, sondern war in diesem Frühjahr auch für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Und so langsam beschlich einen das ungute Gefühl, dass dieses so herausragende Lyriktalent aus seinem Ausflug in das Prosafach einen Daueraufenthalt machen könnte. Dann ist vergangene Woche „im felderlatein“ im Suhrkamp Verlag erschienen. Und, ganz ehrlich, die Erleichterung und Freude über diese neuen Gedichte war und ist groß. Am morgigen Freitag lädt Lutz Seiler zur Buchpremiere für „im felderlatein“ in die Villa Quandt ein.
Schon der Titel „im felderlatein“ lässt einen aufhorchen. So war auch ein Gedicht in „pech & blende“ überschrieben, Seilers zweitem, vor zehn Jahren erschienenem Gedichtband. „diese / straßen sind eine leise gesprochene / sprache noch über das einmal / gesagte hinweg an den gärten / ins felderlatein“ heißt es dort. Wenn man es so lesen will, eine Einführung in Seilers Arbeitsweise und Lyrikverständnis in Form eines Gedichts, in dem Sprache und Raum ineinanderfließen, sich gegenseitig bedingen. Das Feld, die Landschaft ist der Sprachacker, den seit Gezeiten schon die Dichter immer wieder bearbeiten. Auf dem sie ihre Spuren für die Nachkommenden hinterlassen, Erinnerungen, eingegraben in den fruchtbaren Boden, aus dem dann wieder etwas Neues, etwas Eigenes und im Fall von Lutz Seiler Gedichte entstehen, die zu dem Besten gehören, was in diesem Fach derzeit in diesem Land geschrieben wird.
„als kinder wollten wir immer
in andere länder
marschieren, aber
am waldrand waren wir alt
& mußten zurück“
(aus „hüte dich“)
Erinnerungsorte und Heimatorte, Gedankenorte und solche von Träumen durchschreitet Lutz Seiler in den Gedichten „im felderlatein“. Die Landschaft, vor allem die Brandenburgische, ist dabei der Raum, in dem der Sprachkünstler Seiler alles verwischt und dann wieder faszinierende Bilder entstehen lässt.
„am abend verrosten die schafe
über der brache, vögel
wie dahingeschneit & nachgedunkelt ...
nur unter dem schutt
sind die höfe noch warm“
(aus „culmitzsch“)
Und immer wieder beweist Lutz Seiler dabei auch die Fähigkeit, mit seinen Gedichten einen Klang zu erzeugen, für den er wenige Worte und noch weniger Zeilen braucht, der den Leser aber ganz weit hinaus trägt.
Ein gutes Gedicht sagt mehr als nur die wenigen Worte, die dafür auf dem Papier geschrieben wurden. Aber die herausragenden, die wirklich seltenen Exemplare bleiben an einem hängen. Sie entwickeln ein Eigenleben und wollen immer wieder gelesen werden. Sie eröffnen eine Welt der Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, in der es keine Grenzen gibt. Und auch wenn der Moment des ersten Glücks viel zu schnell wieder verfliegt, entwickelt sich etwas bei jedem Wiederlesen, das man dann irgendwann als ein sehr kleines, in kunstvoller Sprache verkleidetes, aber dauerhaftes Glück erkennt.
Wie gesagt, solche Gedichte sind äußerst selten. In „im felderlatein“ finden sich einige davon.
Lutz Seiler stellt am morgigen Freitag, 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, seinen neuen Gedichtband „im felderlatein“ vor. Der Eintritt kostet 7, ermäßigt 5 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 280 41 03. „im felderlatein“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet 14,90 Euro
Dirk Becker
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