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Von Almut Andreae: Momente des Umbruchs

In der Ausstellung „Wendemarken“ zeigen 15 Fotografen in der Galerie ArtMarket Bilder zum Mauerfall

Stand:

Das Magische an Bildern ist, dass sie meist sehr viel mehr auszudrücken vermögen als noch so wohl gesetzte Worte. Fotos sind ein probates Mittel, Erinnerungen quasi auf Knopfdruck wachzurufen. Die am Freitagabend in der Galerie ArtMarket eröffnete Fotoausstellung „Wendemarken“ erinnert an die Zeit, als mit dem Wegfall der Mauer plötzlich so vieles ganz anders war. Verblichene Wahlplakate mit längst vergessenen Versprechen holen im Bruchteil von Sekunden Hoffnungen und Illusionen ins Bewusstsein zurück. Der bittere Nachgeschmack bei dem Gedanken daran, was war, was ist und was vielleicht einmal wird, scheint angesichts der Fotoarbeit „Wohlstand für alle“ unvermeidlich.

Das CDU-Wahlversprechen auf dem 1990 entstandenen Foto von Manfred Kriegelstein hängt an einer bröckelnden Hausmauer. Daneben zwei vom Leben gezeichnete einfache Frauen. Ein Moment, aus dem Leben gegriffen, wird im Foto zum Sinnbild unauflösbarer Paradoxie. Die suggestive Kraft der Bilder verdichtet, ohne sich an Worten zu verbrennen. Die Botschaft von Bildern, gerade von Fotos, geht – wie stellenweise in dieser Ausstellung – unter die Haut. Momentaufnahmen einer Republik im Übergang bestimmen das Konzept, das in der Ausstellung 15 Profi- und Amateurfotografen als Zeugen der Wendezeit zusammenführt. Angelika Euchner hat an die 30 Fotografien, entstanden zwischen 1989 und 2008, ausgewählt, um den Prozess der Wendezeit noch einmal Revue passieren zu lassen.

Fotos aus der Zeit vor dem Mauerfall lassen die Antrittsrede von Egon Krenz am 18.10.1989 noch einmal aufleben (Harald Hirsch, „Sequenz mit Krenz“), warnen vor den Tücken der Wi(e)dervereinigung (Joachim Liebe) oder nehmen den Betrachter auf einen Streifzug in drei Etappen entlang der „Mauer in Klein-Glienicke“ mit (Monika Schulz-Fieguth).

Jan Beumelburg, der, wie Thomas Töpfer, seit der Wende Momente des Umbruchs vor die Linse holte, ohne im eigentlichen Sinne Fotograf zu sein, dokumentiert den Abverkauf der Mauer durch die fliegenden Händler am Brandenburger Tor, den Rückbau von Plattenbauten und andere typische Hinterlassenschaften der DDR-Alltagsrealität. In den Fotos von Mathias Marx, entstanden unmittelbar vor und nach dem Mauerfall, kann man die Mauer noch einmal am Reichstag sehen, die gähnende Leere der Brache am Potsdamer Platz auf sich wirken lassen wie auch die Leipziger „Friedensdemonstration“. Die damals geschossenen Bilder beleuchten aus der damaligen Sicht heraus Stationen in eine ungewisse Zukunft. Angelika Euchner, die den Prozess aus der Perspektive jenseits der Mauer verfolgte, hat eine Bildauswahl getroffen, die 20 Jahre danach einen kritischen, einen nachdenklichen Blick zurück auf die deutsche Umbruchsituation wirft. Am fotogensten zeigte sie sich ironischerweise genau dort, wo ab 1990 Abrisse an der Tagesordnung waren und der Umbruch, der ja im Grunde das ganze Land betraf und erfasste, im Osten plakative Züge trug. Folgerichtig wird die Zeit der Wende motivisch ausnahmslos über Bilder aus dem ehemaligen Osten reflektiert.

„Let’s go West!“ ist in großen Lettern auf den Einkaufstaschen zu lesen, die von eher bedrückt aussehenden Bürgern in einer Aufnahme von Frank Gaudlitz vom 11.11.1989 so ganz und gar nicht triumphal über die Glienicker Brücke getragen werden. Bemerkenswerterweise machen sich auf den Fotos dieser Ausstellung die Menschen eher rar. Bilder, wie die „Halstuchverleihung“ von Steffen Mühle oder die „Bananenfalle“ von Harald Hirsch, entstanden an der Schwelle zur politischen Wende, faszinieren durch ihren ausdrücklichen Fokus auf die Person. Bei den meisten Arbeiten macht sich die Umbruchsituation jedoch eher an Motiven, Szenen und Situationen fest, die Menschenschicksale auf einer Metaebene gleichnishaft reflektiert.

Die gezeigten Arbeiten von Peter Frenkel, Petra Walter-Moll, Susanne Müller und Peter Rohn sind hier weitere Beispiele für eine engagierte Fotografie von Zeitzeugen, die weit über die reine Dokumentation hinausgeht. Wie die meisten Bilder der Ausstellung besitzen sie die zeitlose Präsenz von Stillleben, die den gesellschaftlichen Umwälzungsprozess subtil kommentieren. Die jüngsten Wendebilder der Ausstellung sind erst wenige Monate alt. In ihnen hat Wilfried Müller den Abriss vom Palast der Republik als Digitalprints auf Hahnemühle-Papier festgehalten. Mit Ostalgie haben diese Aufnahmen indes genauso wenig zu tun wie all die anderen gezeigten Fotografien. Sie sind weder verklärend noch anklagend. Was all diese Bilder miteinander verbindet, ist die aus ihnen sprechende Haltung unmittelbarer Betroffenheit.

„Wendemarken“: Mi und Fr 15-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr. Finissage: 3. Mai: 15-19, Hermann-Elflein-Str. 18 b (Luisenforum).

Almut Andreae

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