
© HOT/ Göran Gnaudschun
Kultur: Moral gegen Spannung
„Marnie fliegt“ hatte in der Reithalle des Hans Otto Theaters deutsche Erstaufführung
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Wer hat sie schon, die perfekte Familie? Ein wenig zu spießig, ein wenig zu skurril. Manche zu verrückt, die anderen zu normal. Aber eines eben nie – perfekt. Entsprechen Bruder, Schwester, Mutter oder Vater nie den eigenen Ansprüchen ist die Vorstellung, man käme vom Mars, sehr verlockend. In „Marnie fliegt“ feierte am gestrigen Donnerstag vielleicht nicht die perfekte, aber die gute Familie Premiere in der Reithalle des Hans Otto Theaters.
Marnie McPhee (Juliane Götz) kommt vom Mars, davon ist sie zumindest überzeugt. Anders kann es nicht sein. Schließlich würde es andernfalls bedeuten, dass sie tatsächlich zu ihrer vollkommen schrägen Familie gehört und später auch zu einer völlig verrückten Erwachsenen wird. Sich selbst eher als „Wesen vom Typ Übermensch“ sehend, beschließt Marnie, ein Raumschiff zu bauen. Denn wo sonst als in den unendlichen Weiten des Weltalls wäre sie sonst vor ihrer schrägen Familie sicher?
Doch von den Weiten des Weltalls ist auf der Bühne (Nikolaus Frinke) zunächst noch nichts zu sehen. Eine große Holzkonstruktion mit vier Ebenen weckt eher die Vorstellung einer Skaterrampe. Doch offensichtlich soll es das Wohnhaus sein. Ganz oben, spärlich bestückt mit einer Stehlampe und einem Stuhl, das kleine Reich von Marnies Mutter (Claudia Lietz), die den Traum, einmal eine große Sängerin zu werden, nicht loslassen kann. Auf mittlerer Höhe ein schmales Zimmer, ausgestattet mit einem Bett und einem alten CD-Player, in dem Marnies Bruder Alan (Friedemann Eckert), unter Liebeskummer leidend, am liebsten Gedichte schreibt. Und ganz unten eine kleine Kammer, vollgestellt mit einem überquellenden Bücherregal, einem riesigen Teleskop, durch das der Vater (Pier Niemann) seinem Traum vom Astronauten-Leben nachhängt. Ein Haus voller Träume also.
In einem selbst gebastelten Raumschiff beginnt Marnie ihre Reise ins Weltall vom heimischen Keller aus. Doch in den unendlichen Weiten und der Stille des Alls angekommen, muss sie feststellen, dass ihre nicht perfekte Familie doch gar nicht so schräg ist, wie sie dachte.
„Marnie fliegt“ von dem kanadischen Autor Daniel Karasik ist ein Stück, das den Kleinsten im Publikum zunächst viel Spaß macht, den erwachsenen Zuschauer jedoch gnadenlos unterfordert. Während Juliane Götz mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten ein absoluter Genuss ist, sind die restlichen Darsteller mehr Requisite als Akteure. Doch eine Inszenierung lebt nun mal vom Spiel der Schauspieler miteinander. Das geht in den langen Monologen dieser deutschen Erstaufführung leider völlig verloren, was auch durch das Einbeziehen des größtenteils jungen Publikums nicht wettgemacht werden kann.
Wenn so wenig auf der Bühne passiert wie in dieser Inszenierung von Kerstin Kusch kann eine Vorstellung schnell langatmig werden, sodass selbst die anfangs noch begeisterten Kinder bald unruhig auf ihren Sitzen herumklettern.
Zwar lässt sich der durchaus moralische Aspekt des Stückes nicht von der Hand weisen, doch stellt sich bei so wenig Handlung und so wenig Spannung die Frage, ob diese Geschichte als Bühnenstück tatsächlich geeignet ist. Bei einer Entscheidung zwischen Moral und Spannung hätte schließlich die Spannung am Ende mit großer Sicherheit den weitaus besseren Auftritt.
Erneut am heutigen Freitag, 21. September, 10 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse
Chantal Willers
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