
© Stefan Gloede
Kultur: Mordsgeschichte
Wie Scarlattis „Cain und Abel“ für die Potsdamer Winteroper in der Friedenskirche inszeniert wird
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Dass der Teufel eine feurige Arie vorsingt und dazu am Klavier begleitet wird von einem, der eigentlich für die Rolle von Gott vorgesehen ist, erlebt man nicht alle Tage. Beim Pressegespräch über die aktuelle Potsdamer Winteroper in der Friedenskirche von Sanssouci gab es jetzt diesen kuriosen Beginn. Nach dem kurzen Stegreif-Auftritt ergriffen die Kulturschaffenden das Wort, um knapp zwei Wochen vor der Premiere die diesjährige Inszenierung, „Cain und Abel“, vorzustellen.
Schon zum elften Mal wird die Potsdamer Winteroper gemeinsam von der Kammerakademie Potsdam und dem Hans Otto Theater ausgerichtet. Jetzt gehen die Proben für das Oratorium des Opernerneuerers Alessandro Scarlatti in die heiße Phase, erklärt Alexander Hollensteiner, der Geschäftsführer der erst kürzlich mit dem Echo-Klassik-Preis ausgezeichneten Kammerakademie. Dass die Zusammenarbeit mit den Künstlern der Kammerakademie immer wieder ein ganz besonders inspirierendes Vergnügen sei, lobt Tobias Wellemeyer, der Intendant des Hans Otto Theaters. Aus seinem Haus kommen die Beiträge für Ton, Licht, Kostüme und Dramaturgie, auch für die Auswahl der Regisseurin gab er den entscheidenden Hinweis.
Die gebürtige Dresdnerin Andrea Moses hat auf vielen deutschen Bühnen Erfahrungen gesammelt, seit zehn Jahren auch im Musiktheater. So inszenierte sie beispielsweise kürzlich zum Tag der Deutschen Einheit Richard Wagners Meistersinger an der Staatsoper Berlin unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim.
An Scarlattis Oratorium interessiert Andrea Moses die biblische Ursprungsgeschichte der Menschheit und das Thema, der erste Mord der Menschheit – aber auch die Frage, warum nur Abels Brandopfer von Gott angenommen wird. Dieser soll übrigens in Potsdam wie auch sein Gegensacher Luzifer als handelnde Figur auftreten, anders als im Original, wo die überirdischen Gestalten als Abstraktum nur mit ihrer Stimme erscheinen.
Mit ihrem römisch-katholischen Gepräge und dem eindrucksvollen, frühchristlichen Mosaik in der Apsis dient die Friedenskirche im Park Sanssouci als passende Szenerie. Allzu große Umbauten gab es nicht, doch die Kanzel und der Taufstein wurden versteckt. Andrea Moses möchte Bilder von der Kirche als „Opferhaus“ bis hin zu den christlichen Ritualen zeigen, weshalb Altar und Kreuz zu sehen sein werden.
Die musikalische Leitung wird von Bernhard Forck verantwortet, der nicht nur mit der Kammerakademie vertraut ist, sondern Scarlattis Werk bereits mit der Akademie für Alte Musik eingespielt hat. Dass sich die Musik „von Dissonanz zu Dissonanz“ kämpft, findet er faszinierend. Überhaupt ist die Opernreform bis hin zu Christoph Willibald Gluck ohne Scarlattis Opern, die zur Avantgarde ihrer Zeit gehörten, gar nicht denkbar. Zwar waren weltliche Opernaufführungen um 1700 in Rom, wo der gebürtige Sizilianer Scarlatti sich länger betätigte, nicht erlaubt, doch die musikalischen Neuerungen kamen in den geistlichen Kompositionen genauso zum Tragen. Schließlich wurde Scarlatti sogar von Papst Clemens XI. zum Ritter geschlagen.
Scarlattis melodramatische Vertonung der Kain-und-Abel-Erzählung aus dem Alten Testament glitzert mit einer Reihe von veritablen und virtuosen Da-Capo-Arien, kommt dabei aber nur mit sechs Sängern und ohne Chor aus. Operngemäß hat der Bösewicht, in diesem Fall Luzifer, die Basspartie, danach kommt Adam mit einer Tenorstimme, und Gott mit einem Counter-Alt. Nicht nur Evas ergreifende Klagegesänge, auch Abels zärtliche Arien dürften die Zuhörer im Innern berühren. Originelle, hoch dramatische Sinfonien leiten die Auftritte der übersinnlichen Gestalten ein.
Bei der Premiere 1707 in Venedig dürften Kastraten die hohen Gesangspartien übernommen haben, da Frauen der öffentliche Gesang, zumal in der Kirche, seinerzeit nicht erlaubt war. Doch die Sitten haben sich geändert, sodass in der heutigen Inszenierung einige der hohen männlichen Rollen von Sängerinnen gesungen werden.
Im Vorfeld gab es Gespräche mit Vertretern der Friedenskirche, wie Alexander Hollensteiner berichtet. Es soll auch einen Gottesdienst zum Thema des Brudermords geben. Die uralten Fragen nach Gut und Böse, Verführung und Erkenntnis, Strafe und Sühne, sie sind noch längst nicht gelöst. „Die Sehnsucht nach Gott ist notwendiger denn je“, sagt Andrea Moses, die mit ihrer Inszenierung die Aktualität des Problems von Kain und Abel zeigen möchte.
Premiere am 20. November 2015 um 19 Uhr in der Friedenskirche. Weitere Aufführungen am 21., 26., 27. und 28. November.
Babette Kaiserkern
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