Kultur: Müde Reformer
Präludium zu den Märchentagen: Das Rheinsberger „Netzwerk Neues Musiktheater“ gastierte im T-Werk
Stand:
Der Jungkomponist Sven Daigger und die Librettistin Erika Otto wollen das Musiktheater umkrempeln. Jedoch wohin schon wieder? Ist es seit seiner Blüte nicht längst hin- und hergemodelt worden, bis aus der Oper die Operette, aus dieser ihr leichtfüßiger Bastard, das Musical, entsprang, haben nicht Brecht und Weill an ihr mit Ernst und Witz probiert, Igor Strawinski, später der sakrosankte Mauricio Kagel, oder Hans Werner Henze mit seiner zeitweiligen Librettistin Ingeborg Bachmann?
Gleichsam als Präludium zu den Märchentagen gab das T-Werk am Samstag dem Rheinsberger „Netzwerk Neues Musiktheater“ Gelegenheit, sich und sein Anliegen vorzustellen. Es ging um „Malacostraca. Ein Scherenspiel“, erdacht von Erika Otto, in Teilen bereits komponiert, na klar, von Sven Daigger. Bevor man aber darauf zu sprechen kam, interpretierte die junge Pianistin Imke Lichtwark vor gut einem Dutzend Zuhörern ein Klavierstück des Komponisten, hämmernd-fordernde Dur-Akkorde, irgendwo zwischen dem Classic Jazz und Rock angesiedelt. Klang frisch und gut, obwohl dem urigen T-Werk-Klavier, oh Graus, in den Jahren gleich fünf Tasten abhanden gekommen sein müssen. Der Komponist nahm es mit Humor: „Da muss man eben ein bisschen improvisieren!“ Natürlich ging das.
Die Wahl der Regisseurin Cornelia Heger als Abend-Moderatorin war von jeder Option die ungünstigste. Sie vertrat nicht nur das Netzwerk, sondern arbeitete mit Sven Daigger und Erika Otto auch schon längere Zeit zusammen. Befangenheit also auf der ganzen Linie beim Abfragen und Abhaken von Curriculum und Vita. Ganz lieb, nach Katzenpfoten-Art. Besser hätte eine Freitagabend-Talkshow das auch nicht hinbekommen. Vor allem die totale Abwesenheit jeder Leidenschaft beim Erneuern des Musiktheaters war atemberaubend! Müde Veränderer also, schlafmützige Moderation. Mit der Präsentation von „Malocostraco. Ein Scherenspiel“ wollte das Netzwerk Neues Musiktheater natürlich auch in eigener Sache glänzen, denn die beiden „kuscheln“ ja unter seinen Fittichen. Wie aber, wenn die Moderation so völlig unfruchtbar bleibt, die Librettistin im Gegensatz zum bühnensicheren Sven Daigger den Mund einfach nicht aufbekommt und zum Wort „Scherenspiel“ nicht ein Tönlein gesagt wird. Auch die angekündigte Publikumsdiskussion entfiel stillschweigend.
Letztlich schien es den Veranstaltern um die Rückeroberung jener Kraft zu gehen, mit der sich Geschichten erzählen lassen. „Malacostraca“ ist ein solcher Versuch als „work in progress“: Hier geht es um einen erfolgreichen Unternehmer, der auf seiner erfolgreich-irdischen Ebene zwar glamouröse Abendgesellschaften gibt, im Zentrum seiner Seele aber lieber ein Tiefseekrebs sein möchte.
„Im Showdown zwischen Krebs- und Menschenwelt kommen Geheimnisse ans Licht, werden Dinge getan, die keiner für möglich gehalten hätte“, heisst es in der Beschreibung. Dazu wurden Klangbeispiele präsentiert, aus dem Libretto las der Schauspieler Dietrich Hollinderbäumer einen Text, direkt dem Studienheft des Flusskrebsforschers Siegmund Freud entnommen. Wie bitte, zwei um die Dreißig, die das Leben draußen so gut nicht kennen, wollen das Musiktheater erneuern, so abgeklärt und leidenschaftslos, ohne die Glut der Jugend? Das glaubt euch doch keiner! Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: