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Kultur: Musik an San Marco

Ensemble Odhecaton in der Friedenskirche

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Noten mit der Hand vervielfältigen, war nicht nur in Klöstern ein mühsames Geschäft. Wenn auch nicht erfunden, so hat doch der Venezianer Ottaviano Petrucci der Verbesserung des Notendrucks viele Impulse gegeben: Novitäten konnten schneller ihre Adressaten erreichen, Anthologien herausgegeben werden. Und so erreichte die Serenissima auch Kunde von franko-flämischen Komponisten, deren kunstvolle Vokalpolyphonie an San Marco daraufhin fleißig gesungen wurde. Von denen lernten wiederum venezianische Kapellmeister wie Andrea und Giovanni Gabrieli. Ein ständiges Geben und Nehmen, wovon das Ensemble Odhecaton am Sonntag in der Friedenskirche kündete.

Zunächst vom flämischen Import im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Dabei handelt es sich größtenteils um schlichte, gradlinig am Text entlang komponierte Vertonungen des „Ave Maria“, etwa von Josquin Desprez, Gaspar van Weerbecke, Nicolas Gombert ... Unter Anleitung von Paolo Da Col künden zunächst acht Männerstimmen (ein Sopran gesellt sich später hinzu) a cappella von den Schönheiten der mehrstimmigen Gesänge. Vokale Kunstfertigkeit erfüllt den sakralen Raum. Je zwei Tenöre und Bässe (orgelnd und rabenschwarz), ein Bariton und drei Countertenöre (wovon einer stets vorlaut tönt) mischen sich zu einem Klang von herber Schönheit. Jeder Sänger verfügt über ein unverwechselbares Timbre. Stimmliche Homogenität ist nicht angesagt, statt dessen Individualität.

Das wird sich mit mehrstimmigen, konzertant gehaltenen Piecen von Cipriani de Rore (Sänger und Kapellmeister an San Marco) und der beiden Gabrieli ändern. Der erste Höreindruck: es klingt alles irgendwie einander ähnlich. Beim zweiten Hinhören vernimmt das Ohr winzige An- und Abschweller, feinste Abstufungen in den Tempi und Harmoniewechsel auf engstem Raum. Hat man sich auf die Spezifik der Renaissance-Gesänge, speziell der Klänge aus dem Norden eingelassen, ist des Staunens kein Ende. Dazu trägt die stilistische Vertrautheit der Interpreten genauso bei wie die Reinheit und Klarheit der intonationssicheren, von sprödem Charme geprägten Stimmen. Sie gewinnen vielfarbige Lebendigkeit, Facettenreichtum und Leuchtkraft hinzu. Die zuvor vernommene Individualität geht zunehmend im „Kollektivismus“ auf. Des freudigen Lobsingens und der Gefühlsausbrüche (Gabrieli) scheint kein Ende. Hinreißend. Peter Buske

Peter Buske

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