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Kultur: Musik, die aus der Ruhe kommt KAP modern

im Nikolaisaal

Stand:

Auf sechs ausgestellten „Noten“-Blättern gibt es nichts anderes als gestrichelte und durchgezogene Linien, konkav oder konvex geformte Kurven zu sehen, die sich teilweise schneiden. Eine entpuppt sich wie der gegenwärtige Dax: stark fallend. Danach sollen Klänge entstehen können? Die Blätter sind Teile einer grafischen Partitur „Ryoanji“ für Kontrabass, Flöte, Schlagzeug und Live-Elektronik von John Cage (1912-1992). Der berühmte Tempel in der alten japanischen Kaiserstadt Kyoto mit seinem legendären Kiesgarten, in dem fünfzehn Steine in Gruppen scheinbar zufällig angeordnet sind, gab dem Stück Namen und Inhalt.

Inspirationen des Zen-Buddhismus sind es, die nicht nur den amerikanischen Avantgardisten, sondern auch Giacinto Scelsi (1905-1988) zur Auseinandersetzung mit fernöstlichen Klängen und Philosophien anregte. Umgekehrt waren und sind es ostasiatische Tonsetzer, die sich die Errungenschaften westeuropäischer Musik aneignen wollen: am Orte des Geschehens. Wie beispielsweise Isang Yun (1917-1995). Umgekehrt ists wohl eher selten. Aus diesem Spannungsfeld von Migration oder bloßer geistiger Verwandtschaft bezog das Raumkonzert im Foyer des Nikolaisaals, mit dem sich die Kammerakademie Potsdam erstmals total von ihrer modernen Seite zeigte, seine vielfältigsten Inspirationen.

Faszinierendes gibt es zuhauf zu hören – eine Musik, die aus der Ruhe kommt, in sie zurück findet. Ihre Energie schöpft sie dabei aus der Reduktion ihrer Mittel. So genügt beispielsweise in Scelsis „Le réveil profond“ für Kontrabass solo (Tobias Lampelzammer) ein Ton, um die Monotonie der Nacht auszudrücken, ohne je langweilig zu wirken. Da wird der Bogendruck variiert, die Tonhöhe minimalistisch verändert – und schon breitet sich ungeheure Intensität aus. Von ähnlicher Machart, als Variationen über die Langsamkeit, ist Scelsis „Kshara“ für zwei Kontrabässe, wobei der zweite von Tonband eingespielt wird. Als Meditationsmusik aus europäischer Notenfeder entpuppt sich auch dessen „Hyxos“ für Flöte (bravourös: Bettina Lange) und Schlagzeug (Friedemann Werzlau). „Extase unterm Firnis des Rituellen“, so Moderator Rainer Pöllmann von Deutschlandradio Kultur in seinen kenntnisreichen und wohltuend verständlichen Erläuterungen zum Thema des Abends, gab es auch in „Okanagon“ für Harfe (Tatjana Schütz), Kontrabass und Tam-Tam zu erleben. Wobei die gezupften und nahezu gleichen Harfenakkorde sich per Metallstab zum Geräusch verwandeln. Diverse Klopfarbeiten a tre treten hinzu.

Zum Klangstar des lichtdesignten Konzerts, das sich mit dem von Bettina Lange von der Empore geblasenen seufzer- und glissandoreichen Klagelied „Mei“ von Kazuo Fukushima (geb. 1930) einleitet und die wenig später mit Yuns Solo „Sori“ ihre Kunst des warmen, seelenvollen und reich schattierten Tons vorführt, wird Tobias Lampelzammer. Er beweist in Scelsis suggestivem „Mantram“ und im technisch außerordentlich anspruchsvollen „Theraps“ von Iannis Xenakis (1922-2001), dass seine behäbige „Großmutter“, wie der Kontrabass in Fachkreisen gern genannt wird, durchaus noch eine agile, hellstimmige, jung gebliebene, redeflinke, leicht zu erregende Person ist. Abschließend nehmen Cages Kurvenblätter, die sich als Umrisse jener fünfzehn Gartensteine entpuppen, klingende Gestalt an. Wie sie einander ähnlich sind, so klingt auch die Musik: an- und abschwellend, in großer Ruhe als Ausdruck einer entschleunigten Zeit. Peter Buske

Peter Buske

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