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Kultur: „Musik ist ja nicht eindeutig“

Nils Mönkemeyer hat mit den Musikern der Kammerakademie Potsdam sein neues Album „Folia“ eingespielt, das er am 26. Dezember im Nikolaisaal vorstellen wird

Stand:

Herr Mönkemeyer, stimmt es, dass Sie früher sehr oft gefragt wurden, was die Bratsche überhaupt für ein Instrument sei?

Ja, das ist wahr. Und Ähnliches passiert mir auch heute noch. Da stehe ich an der Bushaltestelle, die Leute sehen meinen Instrumentenkoffer und fragen, ob da eine Hawaiigitarre drin sei.

Eine Hawaiigitarre?

Ja, wobei ich natürlich dann nicht wusste, was das sein soll, eine Hawaiigitarre.

Aber mittlerweile wissen Sie das schon?

Nein, aber gute Idee. Das werde ich nachher gleich mal googeln. Aber es ist schon so, dass ich die Frage, was denn eine Bratsche sei, immer seltener höre. Vielleicht manchmal noch von einem Taxifahrer, der dann sagt, er hat früher auch mal Gitarre gespielt. Zwar ist die Bratsche noch immer nicht so bekannt wie die Geige, aber da hat sich schon einiges getan.

Trotzdem ist das Image der Bratsche, die wesentlich größer gebaut ist als die Geige und tiefer klingt, noch immer nicht das beste. Allein schon dieser Name. Dann wird über die angeblich musikalische Begrenztheit dieses Streichinstruments und entsprechend auch über die Spieler gespottet, mit Bratschenwitzen lassen sich wohl mittlerweile sogar Bücher füllen. Was ist bloß los mit dieser Bratsche?

Ach wissen Sie, schon zu Bachs Zeiten hat Johann Joachim Quantz, Komponist und Flötenlehrer Friedrichs des Großen, die Bratsche als ein minderwertiges Instrument bezeichnet, mit dem sich nur Musiker zweiter Garnitur abgeben. Also Geiger, die nur schlechter und langsamer spielen konnten. Das war so um 1750. Da kommen schon einige Jahre zusammen, in denen sich diese Einstellung verfestigen konnte.

In den vergangenen Jahren hat sich diese Einstellung gewandelt. Was ist da passiert?

Wenn man sich die Musikgeschichte anschaut, wird deutlich, dass ganz viele der großen Werke geschrieben wurden, weil bestimmte Interpreten das so wollten oder die Komponisten mit einem tollen Solisten zusammengearbeitet haben. Seit nun Musiker wie Yuri Bashmet, Tabea Zimmermann oder Kim Kashkashian mit der Bratsche als Solisten Karriere gemacht haben, gibt es auch sehr viele Werke, die für sie geschrieben wurden. Ich habe beispielsweise wegen Tabea Zimmermann mit der Bratsche begonnen.

Weil Sie Tabea Zimmermann in einem Konzert erlebt haben?

Nein, die erste Bratschenaufnahme, die ich gehörte habe, war von Tabea Zimmermann. Ich war total fasziniert, wie schön das klang. Aber das hatte auch damit zu tun, dass ich auf der Geige immer Probleme hatte, einen romantischen Ton zu finden. Ich konnte mich auf diesem Instrument nie überwinden, gefühlvoll zu spielen, dieses sich Veräußern, sich regelrecht die Hemdbrust auf der Bühne aufzureißen. Aber in dem Moment, als ich angefangen habe Bratsche zu spielen, fing ich an zu verstehen, was es bedeutet, eine eigene Stimme zu haben, persönlich zu spielen. Vorher fand ich Brahms Sonaten auf der Geige furchtbar. Dann habe ich sie von Tabea Zimmermann auf der Bratsche gehört und gedacht: Mein Gott, ist das schön. Das war schon ein Schlüsselmoment für mich.

Wo Sie gerade von eigener Stimme sprechen, auf Ihrem Album „Weichet nur, betrübte Schatten“ haben Sie sechs Kantaten von Johann Sebastian Bach für die Bratsche bearbeitet, die menschliche Stimme durch die Ihres Instruments ersetzt. Und je öfter man diese Aufnahme hört, umso stärker wird das Gefühl, dass Ihre instrumentale Stimme mehr Raum bietet als die textgebundene menschliche Stimme.

Ich denke, jedes Instrument ist in irgendeiner Form die Abwandlung einer Singstimme. Aber wir kennen deren Klangfarbe nicht von uns selbst, von unserer Stimme. Das macht diese Instrumente ja auch so besonders. Und natürlich wird Musik durch einen Text in eine bestimmte Richtung gelenkt. Aber oft ist es so, dass die Musik selbst viel mehr aussagen kann, als allein durch einen Text. Denn Musik ist ja nicht eindeutig. Sie kann in jedem von uns eine ganz andere Geschichte entstehen lassen.

Auf Ihrem neuen Album, das Sie zusammen mit der Kammerakademie Potsdam eingespielt haben und das Sie im Nikolaisaal vorstellen werden, haben Sie sich ausgerechnet der „Folia“ gewidmet. Ausgelassene Variationen über ein Thema, die Kontrollverlust suggerieren, denen sogar ein gewisser Wahnwitz innewohnt. Übernimmt sich so ein behäbiges Instrument wie die Bratsche nicht an der Folia?

Die Barockmusik ist für mich die Musik, mit der ich angefangen habe. Sie zu spielen, ist für mich wie ein Bad nehmen. Da fühle ich mich hundertprozentig wohl und sicher. Und die Bratsche kann ausgelassen und verrückt sein wie jedes andere Instrument, kann wie jedes Instrument „Folia“ sein, denn ich glaube, dass das gar nichts mit dem Instrument zu tun hat.

Sie haben sich beim Repertoire für Telemann, Corelli, Bach und den weniger bekannten französischen Komponisten Michel-Richard Delalande entschieden.

Ein Teil des Repertoires ist noch gar nicht richtig erschlossen. Gerade die Tanzsätze von Delalande sind beispielsweise nicht für ein bestimmtes Instrument geschrieben worden, das hat der Komponist bewusst offen gelassen. Dann Telemanns Konzert G-Dur für Viola und Orchester. Der war ja zu seiner Zeit ein regelrechter Superstar, vielleicht sogar das erste Marketing-Genie unter den Komponisten. Der war extrem erfolgreich und hat dann dieses Bratschenkonzert geschrieben, das deshalb so toll ist, weil es das Instrument, mit allem was es kann, zeigt. Nicht nur weinen und klagen, sondern auch virtuos. Dann noch Bach und Corelli. Da hatte ich einfach Lust drauf, dieses Repertoire zu erschließen. Hinzu kommt, dass ich das Album unbedingt mit den Musikern der Kammerakademie Potsdam einspielen wollte.

Warum ausgerechnet mit diesem Ensemble?

Ich hatte die Kammerakademie vorher schon oft auf CD-Aufnahmen gehört. Dann kenne ich den Dirigenten Michael Sanderling gut, der eng mit der Kammerakademie zusammengearbeitet hat.

Und wie haben Sie dann die Aufnahmen mit der Kammerakademie erlebt?

Es war einfach toll. Die Leute sind Vollprofis. Jeder der Musiker bringt sich da ein und leistet einen ganz wichtigen Beitrag für das Ganze. Nicht nach diesem Prinzip, dass jemand die Leitung übernimmt und der Rest einfach nur folgt. Die sitzen da wirklich auf der Stuhlkante und spielen mit voller Energie. Das ist eine ganz andere Art von Zusammenarbeit, die sich daraus ergibt. Ganz ehrlich: Ich bin jetzt richtig verliebt in dieses Orchester.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Nils Mönkemeyer ist zusammen mit der Kammerakademie Potsdam am 26. Dezember, 18 Uhr, im Nikolaisaal mit Konzerten von Bach und Telemann zu erleben. Eintrittskarten in der Ticketgalerie des Nikolaisaals oder per Tel.: (0331) 28 888 28. Nils Mönkemeyers aktuelle CD „Folia“, eingespielt mit der Kammerakademie, erscheint am 3. Januar und wird, wie seine früheren Aufnahmen, bei Sony Music verlegt

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