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Treffen des Deutschen Bühnenvereins in Potsdam: „Musik und Kunst sind keine Ware“

Normale Menschen auf die Bühne holen, das ist eine Idee von Klaus Zehelein. Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins tritt nach zwölf Jahren im Amt ab – und wird vorher noch eine Warnung los.

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Die Intendanten und Direktoren der Deutschen Theater und Orchester treffen sich ab diesem Freitag für zwei Tage in Potsdam. Bei der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins sind Bürgerbühnen und damit die Beteiligung der Zuschauer ein zentrales Thema. Und es gibt einen Abschied: Nach zwölf Jahren im Amt tritt Präsident Klaus Zehelein ab. Er sorge sich vor allem um die Theaterlandschaft in Ostdeutschland, sagte der 74-Jährige im Interview.

Herr Zehelein, wie holen die Theater die Bürger aus dem Zuschauerraum auf die Bühne?

Wir richten uns mit unserer Arbeit an emanzipierte Zuschauer, aber das Theater wird wie alle Lebensbereiche zunehmend entstellt von Elementen der Konsumption. Viele Menschen können sich nur noch als Konsumenten wahrnehmen, das liegt an unserer Wirtschaftswelt. Deswegen wollen immer mehr Theater Zuschauer über Bürgerbühnen in eine aktive Rolle bringen. Dabei werden Bürger auf der Bühne in die Arbeit der Theater einbezogen, nicht als Schauspieler, sondern als Mitglieder unserer Gesellschaft.

Zielt das auf die Darstellung der Lebenswirklichkeit ihrer Zuschauer?

Ja. Es können Einzelne wie beim Rimini-Protokoll als „Experten des Alltags“ auf die Bühne gehen, aber auch unterschiedliche Gruppierungen, wie dies das Dresdner Staatsschauspiel bei Hauptmanns „Weber“ mit einem Arbeitslosenchor tat. Jeder aus der Mitte unserer Gesellschaft kann auf einer Bühne stehen. Dies geschieht immer in Zusammenarbeit mit Schauspielern. Es geht um das Theater als politischen Ort, was es immer war. Bei der Aufführung des Stücks „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek hat das Thalia Theater Migranten auf die Bühne gebracht und mit ihnen gearbeitet. Da waren Menschen darunter, deren Aufenthaltsstatus nicht geklärt war. Es ist ein Spiel mit Authentizität, wenn Betroffene und nicht Schauspieler auf der Bühne stehen.

Sie tagen dieses Jahr in Potsdam, also in einem ostdeutschen Bundesland. Hat das auch einen thematischen Hintergrund, wird es sich im Programm spiegeln ?

In den neuen Bundesländern hat sich die Theaterlandschaft nach der Wende anders entwickelt als im Westen. Die Theater waren wie die Kirchen ein politischer Ort, an dem die Wende vorangetrieben wurde. Anschließend waren die Menschen mit ihrer neuen Lebenswirklichkeit beschäftigt, und die Theater verloren – wie die Kirchen – an Zulauf. Und es fehlt vielen Bühnen an finanziellen Mitteln.

Betrifft dies vor allem die ostdeutschen Länder?

Insgesamt gesehen ist die öffentliche Förderung in Deutschland befriedigend, aber gerade in den neuen Bundesländern ist die Situation zunehmend schwierig. In Mecklenburg-Vorpommern wurden die Mittel seit Jahren nicht mehr erhöht, und dies soll nun unter dem Minister Mathias Brodkorb bis auf Weiteres so bleiben. Die Kommunen können das nicht ausgleichen, und so ruft man zunehmend nach Fusionen. 

Woran denken Sie konkret?

Die Häuser Neubrandenburg und Neustrelitz sind schon fusioniert, und nun gibt es Pläne, sie mit den ebenfalls fusionierten Bühnen Greifswald und Stralsund zu einer GmbH zusammenzulegen. Solche Fusionen bringen aber meist nicht mehr Geld für den Betrieb, sondern teilen nur den Mangel. In Rostock werden die Bühnen seit 1991 auf Verschleiß gefahren, auch mit vielen Intendantenwechseln. Nun sollen die Sparten Oper und Tanz aufgelöst werden. Das ist uneinsichtig gegenüber den kulturellen Anforderungen einer Großstadt. Es wird überflüssigerweise auch über eine Fusion mit Schwerin nachgedacht – das geht schon wegen der großen Entfernung nicht.

Sie ziehen sich jetzt nach zwölf Jahren als Präsident zurück. Ausschließlich aus persönlichen Gründen?

Ja, ich bin jetzt 74 und habe dieses Ehrenamt seit zwölf Jahren geschultert, und das reicht nun. Ich bin seit vergangenem Sommer mit meinem Ausscheiden aus der Bayerischen Theaterakademie nicht mehr Vertreter einer Institution, und das sollte der Präsident des Deutschen Bühnenvereins schon sein. Immerhin gibt es in Deutschland fast 500 Theater und Orchester.

Welche Fragestellung hat Sie im Rückblick während Ihrer Amtszeit am meisten beschäftigt?

Neben den aktuellen Auseinandersetzungen um Förderung und Finanzen finde ich es sehr wichtig, dass die Theater- und Orchesterlandschaft in Deutschland nun den Status eines immateriellen Kulturerbes hat. Das schützt uns vor denjenigen, die in der Kultur eine reine Dienstleistung sehen wollen. Übrigens auch bei den Verhandlungen um das Freihandelsabkommen TTIP: Als Dienstleister gerieten wir da in eine Konkurrenzsituation, die die Freiheit der Kunst massiv einschränkt. Kunst und Musik sind eben keine Ware.

Die Fragen stellte Klaus Peters (dpa)

Klaus Peters

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