
© M. Thomas
Kultur: Musikalische Reise in den Orient „Musik des Orient und Okzident“ im Nikolaisaal
„Da wo Politiker verhandeln und nicht selten scheitern, hören Musiker auf zu reden und spielen.“ Mit soviel Vision kündigt sich das Projekt „Musik des Orient und Okzident“ im Nikolaisaal an.
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„Da wo Politiker verhandeln und nicht selten scheitern, hören Musiker auf zu reden und spielen.“ Mit soviel Vision kündigt sich das Projekt „Musik des Orient und Okzident“ im Nikolaisaal an. Die Reihe will künftig zur Völkerverständigung beitragen und sich mit der musikalischen Verknüpfung nahöstlicher und westlicher Musizierstile im Jazz beschäftigen. Die ersten Abendländler, die an diesem Samstagabend in Richtung Orient aufbrechen, sind die beiden Griechen Nicki Skopelitis an der Gitarre und Floros Floridis am Saxofon und Klarinette.
Als Führer ihrer Expedition haben sie einen waschechten Orientalen gewinnen können: Okay Temiz, der neben seinem Schlagzeug einen wahren Harem an Perkussions-Instrumenten um sich versammelt hat. Die Truppe wirkt schon rein äußerlich schräg, aber was dann folgt, ist sicherlich kein Bewerbungsschreiben zur Völkerverständigung. Die drei verhinderten Diplomaten ergießen sich in einer dreiviertelstündigen Improvisation, bei der am Ende so einige Fragen offen bleiben. Psychedelischer Freejazz wäre wohl eine gute Bezeichnung für diese unkonventionellen Musikpioniere. Da singen Sägen und kreischen Gitarren. Die Klarinette wirbelt wie ein entrückter Derwisch. Parallel kreiert Okay Temiz am Schlagzeug Taktarten, bei denen sich abendländische Mitwippende die Füße brechen.
Zusätzlich beeindrucken so eigenwillige Instrumente wie der Berimbau, einem Musikbogen der als Perkussions-Instrument verwendet wird und aus einem gebogenen Holzstock mit einer Drahtsaite und einem aufgeschnittenen, ausgehöhlten Flaschenkürbis als Resonanzkörper besteht. Auch wenn die Darbietung der drei Musiker als durchaus polarisierend bezeichnet werden kann, schaffen sie es während der 45 Minuten eine faszinierende Spannung zu halten. Mal gleiten sie ruhig und atmosphärisch durch die Passagen und mal galoppieren sie wie eine durchgeknallte Kamelherde. Die Fantasie malt dazu ihre eigenen Bilder.
Am Ende ihrer Vorstellung bleiben trotzdem einige verstörte Gesichter in den Zuschauerreihen zurück. Der nötige Seelenbalsam folgt jedoch auf dem Fuße. „Marula“ nennt sich die zweite Formation des Abends und so wie der türkisch- griechische Freejazz den Zuhörern den Kopf öffnete, öffnet diese Gruppe mit ihren Improvisationen die Herzen der Anwesenden. Bei „Marula“ geht die Sonne auf. Die marokkanischen Lieder erzählen von engen Gassen, bunten Basaren und schwitzenden Städten. Wehmütige Melancholie liegt in der Luft, genauso wie pure Lebensfreude.
Die Musiker schlagen in ihren Solos imaginäre Purzelbäume auf der Bühne. Besonders Ali Keita treibt fantastisches am Balaphon, dem afrikanischen Vorbild unseres Xylophons. Mit der unerträglichen Leichtigkeit des Seins entlockt er seinem Instrument die wunderbarsten Melodien. Und während sich die Töne bei seinen Solos in Lichtgeschwindigkeit aneinanderreihen, übt sich dieser inspirierende Virtuose im fröhlichen Dauerlächeln. Das kommt gut an.
Nicht minder virtuos präsentiert sich Uwe Kropinski an der Akustikgitarre. In seinen Improvisationen erfindet er das Gitarrenspiel zeitweise völlig neu. Neben dem üblichen Streichen und Zupfen, nutzt Kropinski den Korpus seines Instruments als Perkussionselement, singt dazu und gibt sich den Takt mit einer an den Füßen befestigten Muschelkette, die ihn wie ein treibender Schellenring auf seinen Ausflügen begleitet.
Doch es wäre nicht richtig nur einen oder zwei Musiker aus diesem Quartett hervorzuheben. Majid Bekkas an der Oud und Guembri ist in seinem Heimatland Marokko längst ein Star. Ebenfalls von einem anderen Stern scheinen die Solos von Michael Heupel an der Jazzflöte zu kommen. Mit „Marula“ findet das erste „Orient-Okzident“-Konzert im Nikolaisaal einen versöhnlichen und verständnisvollen Abschluss. Es war ein lohnenswerter Abend, der nach einer Fortsetzung ruft. Philipp Kühl
Philipp Kühl
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