Kammerakademie im Nikolaisaal: Musikalische Wanderungen durch den Tag
Ordnung ist das halbe Leben. Sommerzeit, Winterzeit, Jahreszeiten oder Tageszeit – ein Glück, dass alles so schön gegliedert und klassifiziert ist, sodass man jederzeit weiß, wann man sich woran zu halten hat.
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Ordnung ist das halbe Leben. Sommerzeit, Winterzeit, Jahreszeiten oder Tageszeit – ein Glück, dass alles so schön gegliedert und klassifiziert ist, sodass man jederzeit weiß, wann man sich woran zu halten hat. Und dabei fast nie die Orientierung verlieren kann.
Für ihr letztes saisonales Sinfoniekonzert hatte die Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Antonello Manacorda am Samstag zu einer musikalischen Wanderung durch den Tag in den Nikolaisaal geladen. Da am Abend stattfindend, beginnt sie mit dem Stimmungsbild „Sommerabend“ von Zoltán Kodály. Weich und fließend musiziert, schleicht er sich sanft und elegant in die Seele. Vom Englischhorn über Fagotte bis zum Horn sorgen die kantabel tönenden Mitstreiter für die Imagination lauer Sommerwinde. Kecke Tagesreminiszenzen ziehen genauso am inneren Auge vorbei wie geheimnisvoll Raunendes, ehe den Hörer episodenreiche Träumereien heimsuchen. Trotz transparenter Spiellust voller Leidenschaft und Innigkeit ist man danach für die Nacht mit sich allein gelassen, wo doch Vivaldis g-Moll-Concert „La notte“ der passende Gefährte hätte sein können.
Am Morgen danach gibt es mit Joseph Haydns gleichnamiger Sinfonie Nr. 6 D-Dur zunächst ein schlaftrunkenes Erwachen, ein Dehnen und Recken der Glieder, ehe sich einem jene frohen Gefühle einstellen, mit denen man sein Tagwerk beginnen sollte. Das von Haydn bestimmt jahrzehntelang Fürst Paul Anton Esterházy. Zu den ersten Auftragswerken für seinen neuen Arbeitgeber gehört der dreiteilige sinfonische „Tageszeiten“-Zyklus, der – Ordnung muss sein – mit dem „Morgen“ beginnt. Frisch und fröhlich, flötenquirlig und cembaloassistiert geht es zur Sache, da ist des kontrastreich artikulierten Frohsinns kein Ende. Melancholische Reminiszenzen breiten sich im Adagio-Satz aus, der von ausgedehnten Soli der Konzertmeisterin nebst konzertierenden Cello-Einwürfen bestimmt ist. Im rustikalen Menuetto erhalten dann Flöte und Oboe, später Fagott und Kontrabass reizvolle solistische Aufgaben. Glitzernd und beschwingt geht es im Finale zu.
Doch ehe es zum weiteren Klangschmaus beim sinfonischen „Mittag“-Essen kommt (Nr. 7 C-Dur), stimmt eine ornithologische Frühaufsteherin ihren jubilierenden Gesang an. „The Lark Ascending“ (Die aufsteigende Lerche) nennt sich die stimmungsvolle Vertonung eines Gedichts von George Meredith durch Ralph Vaughan Williams (1872-1958), die, geschrieben für Violine und Orchester, zwitschernden Saitenplattitüden und rhythmischer Hora-Virtuosität keinen Raum lässt. Stattdessen kann die Solistin Lena Neudauer auf ihrem Guadagnini-Instrument von 1743 fortwährend mit berückend schönem Saitensingen begeistern. Wie die Lerche sich allmählich in die Lüfte schraubt, gewinnt das Stück zunehmend an Farbe und klanglicher Intensität, an Lautstärke und Volumen. Melodienseliges Leuchten und schwelgerisch-trillerreiches Schweben, wohin man hört. In höchste Klangregionen aufgestiegen, verstummt sie allmählich. Ein bezauberndes Stimmungsbild, dem mit Mozarts Rondo für Violine und Orchester C-Dur- KV 373 der mit klarem, kraftvollem und schlankem Ton servierte kulinarische „Nachschlag“ folgt. Mit dem ersten Satz „Obsession“ aus der 2. Sonate von Eugène Ysaye dankt sie dem Beifall. Dann kann zu „Mittag“ das sinnenfrohe, detailverliebte und opulent angerichtete Vier-Gänge-Menü serviert werden, wobei sich der zweite Gang sogar als eine veritable Opernszene entpuppt.
Peter Buske
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