zum Hauptinhalt

Kultur: Musikstunde mit ganz neuen Tönen

Kammerakademie wieder im Wolkenberg-Gymnasium / Eine Lanze für die moderne Musik gebrochen

Stand:

Ein „Tag der offenen Tür“ an den Schulen ist zuerst ein Schnuppertag für den lernbereiten Nachwuchs. Sechsklässler konnten sich am Samstag auch am Michendorfer Wolkenberg-Gymnasium nach Herzenslust umsehen. Wer da, angesichts des gewaltigen Trubels, nicht Lust auf die „siebente Klasse“ bekam, ist eigentlich selber schuld. Neben den ungeheuren Angeboten im technischen, schöngeistigen, sprachlichen und naturwissenschaftlichen Bereich hielt das Haus noch eine besondere Spezialität bereit.

Nicht zum ersten Male probten Mitglieder der Kammerakademie Potsdam vor Ort in Sachen Neuer Musik, und das auch noch im Doppelpack. Als Projekt-Auftrag von der Schule finanziert, bastelten die Flötistin Sabine Vogel und ihre Kollegin, die Geigerin Isabelle Stegner, mit zwei siebenten Klassen Instrumente, bis ein ganzes Orchester entstand. Querflöten erwuchsen aus Luftpumpen, Klarinetten und Oboen aus anderen Stoffen, wobei man natürlich auch die „Blätter“ selbst produzierte – aus Stroh. Weiterhin konstruierten die Schüler Blaswerkzeug auf genau abgefüllten Flaschen sowie echte Panflöten und Klangwerk.

Natürlich waren alle Feuer und Flamme, doch damit nicht genug. In einem zweiten Schritt erdachte sich die Gruppe auch noch eine Komposition modernen Stils, die im proppevollen Musikraum uraufgeführt wurde. Die jungen Instrumentalisten spielten das fünfzehnminütige Werk hochmotiviert, ihre Eltern waren natürlich hellauf begeistert.

Aber das war im Michendorfer Kreativraum noch immer nicht alles. An der Tafel hingen vier gewaltige Blätter Papier mit völlig unverständlichen Zeichen, Wellen, sich zueinander fügende Ecken, Kringel. Es handelte sich um eine Notenschrift, welche sich die Kinder selbst ausgedacht hatten. Projektleiterin Sabine Vogel führte ihr Dirigat („Sound-Painting“) nach Art des US-Amerikaners Walther Thompson. Es ermöglicht Notenunkundigen, sozusagen „die Schrift an der Wand“ fachgerecht abzulesen, was gelegentlich an die Verständigungsart unter Taubstummen erinnerte. Wieso das, hat man in der siebenten Klasse noch keine Noten gelernt? Musiklehrerin Susan Kalex, im engen Rahmen ihres Lehrplans seit Jahren für die Neue Musik („gar nicht abschreckend“) engagiert, meinte, nicht alle könnten das schon, und die Potsdamer Profis ergänzten, moderne Kompositionen ließen sich ohnehin nicht mehr sicher notieren.

Der pädagogische Effekt dieser besonderen Musikstunde scheint gewaltig zu sein. Die Rezeption scheint ja bis heute bei Barock und Klassik zu verharren. Alles nur eine Frage der Gewohnheit, meinte die Musiklehrerin, die Schüler wären mitnichten überfordert gewesen, der Verlauf des ganzen Projektes beweise das glatte Gegenteil.

Mit spielerischer Leichtigkeit seien sie an die Aufgaben herangekommen, beim Bauen und bei der höchst dissonanten Komposition, die sich richtig professionell anhörte – wie war gleich ihr Titel? Sie wünscht sich im Lehrplan mehr dieser neuen Musik, auch mehr solcher Projekte, denn „ohne Hilfe von außen schaffen wir das nicht“ – Workshops für Musiklehrer wären dann die Krönung ...

So glaubte man, eine kleine „musikpädagogischen Revolution“ miterlebt zu haben. Der Keim für den musikalischen Ausdruck ihrer Zeit ist bei den Schülern gelegt. Zufriedenes Personal, glückliche Eltern, die auch noch etwas dazugelernt hatten, da wird der nächste Workshop wohl nicht lange auf sich warten lassen.

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })