Kultur: Musiktheater für Unerwachsene
„Zählen und Erzählen“ bei den Tagen der Neuen Musik für Kinder im Treffpunkt Freizeit
Stand:
Neue Musik in den Konzertplan aufzunehmen, ist noch immer ein riskantes Unterfangen. Spärlich besetzt sind meist die Reihen. Ein kleiner Publikumskreis schart sich beinahe schützend um die wenigen Ensembles, die sich zeitgenössischen Werken widmen.
Anders am vergangenen Sonntag bei den Tagen der Neuen Musik für Kinder im Treffpunkt Freizeit, wo das wandelbare Musiktheaterstück „Zählen + Erzählen“ nach einer Idee von Mauricio Kagel aufgeführt wurde. Bis auf den letzten Platz war der neue Theatersaal gefüllt. Das heißt – die letzten Plätze in den hinteren Reihen blieben dem „Klangorchester“ vorbehalten: Kindern, die mit Rasseln, Hölzern, Pfeifen, Klappern und Trommeln das Geschehen auf der Bühne klanglich umhüllten. Vorn tanzte das Mädchen Marie seinen Traum, in dem es schon jetzt, da es draußen noch friert, nach Blüten duftet, Vögel zwitschern, die Leute glücklich beieinander sitzen. Ein Frühlingstraum, in den sich Miriam Wolff als Marie erst zaghaft, dann immer freimütiger hineintanzte, bis sie sich darin verlor. Um in die Wirklichkeit zurück zu gelangen, musste sie unter Einsatz aller tänzerischen und pantomimischen Möglichkeiten Flüsse befahren, durch die Lüfte fliegen, eine Insel entdecken, den Fluch eines Zauberers brechen und eine Sonnenblume befreien. Das Klangorchester trug sie dabei sicher durch alle Elemente: Feuer, Wasser, Erde und Luft. Zwei Kinder am Rande lasen dazu Maries Geschichte, Schauspieler mimten ohne zu sprechen, eine Akrobatin am Trapez potenzierte die Spannung. Was dann noch ungesagt war, füllte Musik aus dem 1. und 2. Klaviertrio von Mauricio Kagel, gespielt von Patrick Walliser am Klavier, Susanne Busching-Brerow am Violoncello und Wolf Bender an der Violine.
Kagels Idee zufolge tragen in diesem ungewöhnlichen Musiktheater Kompositionen, Tanz und Schauspiel gleichberechtigt zur Umsetzung einer immer neu zu schreibenden Geschichte bei. Die poetische Textvorlage für die Potsdamer Aufführung, die vom Verein für genreverbindende Kunstwerke und dem Landesmusikrat Brandenburg produziert wurde, stammt von zwölf Kindern aus dem Theater Buntspecht des Treffpunkt Freizeit. Nach Kagels „Versuchsanordnung“ ließ Regisseurin Andrea Conrad die Mädchen und Jungen im Kreis sitzend eine Kettengeschichte erzählen, die reihum im Zweiminutentakt weitergesponnen werden musste. Was die Sieben- bis Zehnjährigen erdachten, war nun binnen acht Tagen von Regie und Choreographie, von Schauspielern, Tänzern, Musikern und nicht zuletzt von den Bühnentechnikern des Hans Otto Theaters umzusetzen. Die gebotene Eile hatte Programm, denn die Spontaneität der Kinder sollte nicht durch Grübelei und Reflexion Erwachsener verfremdet werden. „Musiktheater für Unerwachsene“ eben, wie es im Untertitel des Stückes heißt. Die Autorengruppe verwandelte sich in den acht Tagen in das kleine Orchester, das Elemente ihrer Geschichte nun völlig unbefangen in eigene Klanggebilde umsetzte.
Noch wissen die Kinder nicht, was klassische und so genannte Neue Musik unterscheidet. So schien es ihnen sicher folgerichtig, dass Kagels hier oft dramatisch wirkende Musik am Ende der Geschichte harmonisch in ein Klaviertrio Ludwig van Beethovens überging, bevor ein einsam drehender Brummkreisel Maries Frühlingstraum austrieseln ließ. Es blieb ein langer Moment der Stille, von denen es viele gab in dieser nicht nur aus Zeitgründen sparsamen Inszenierung. Andrea Conrad reduzierte die Geschichte auf das Wesentliche und ließ so genügend Raum und Ruhe für die kindliche Wahrnehmung. Abgeschirmt von Bildüberflutung und Soundstress des Alltags hatten hier Tanz und Töne eine Chance, die Sinne zu rühren, Gedanken in Bewegung zu setzen.
Nächste Aufführungen: Treffpunkt Freizeit, Do 2.3., 14.30 Uhr, Fr 3.3., 10 Uhr.
Von Antje Horn-Conrad
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